Everybody's fucked in their own special way

Sonntag, 15. November 2015

Grundsätzliches

Hier stehen normalerweise merkwürdige und lustige oder zumindest lustig gemeinte Dinge. Das war aber eigentlich nie die Idee hinter dem Blog, hat sich so ergeben, kann sich auch wieder ändern. Bei ernsteren Themen denke ich zumeist, dass es andere gibt, die das besser können, oder finde es schwierig, eine Form zu finden, mit der ich auch zufrieden bin. Allgemein streite ich mich nicht so gerne im Internet; das hat aber auch damit zu tun, dass ich mich beruflich schon genug streiten muss.

Dann gibt es Tage, an denen ich keine Scherze machen will. Gestern war so einer. Und da scheint es mir heute sinnvoll, ein paar grundsätzliche Dinge aufzuschreiben:

1. Ein Grundproblem der Menschheit ist, dass es um so viel einfacher ist, etwas zu zerstören, als etwas aufzubauen. Bestes Beispiel ist der Mensch: es braucht keine besondere Begabung dafür, andere zu verletzen oder zu töten, jeder kann in wenigen Sekunden soviel Schaden anrichten, dass fähige Ärzte es in Monaten nicht mehr heilen können. Wenn man es mit jemandem zu tun hat, dessen einziges Ziel ist, einem zu schaden oder Dinge zu sabotieren, führt man einen aussichtslosen Kampf. Unsere Gesellschaft ist verwundbar und wird es bleiben, gegenüber denjenigen, die einzig und allein zerstören wollen.  Was kann man daraus schließen? Als Gegenmittel unsere pluralistische Gesellschaft selbst kaputt machen, damit der IS sie nicht kaputt machen kann? Das scheint mir nicht sonderlich sinnvoll zu sein. Und man muss daran denken: Seit Beginn der Geschichte ist es richtig, dass es einfacher ist zu zerstören als etwas zu erschaffen. Alle paar Dekaden stellt die Menschheit dies auch eindrucksvoll unter Beweis. Und trotzdem hat die Menschheit immer weiter gebaut, geschaffen, versucht, ohne sich von den Rückschlägen entmutigen zu lassen. Und das sollten wir auch weiterhin tun. Oder wir müssten uns fragen, ob nicht wir selbst auch zu denjenigen gehören, die nicht mehr erschaffen, sondern nur zerstören können.

2. Bei allen Diskussionen darf man nicht dabei stehen bleiben, wogegen jemand ist. Es ist z.B. richtig, den IS abzulehnen und zu bekämpfen. Aber man muss auch weiter fragen, wofür die jeweiligen Bekämpfer sind. Wenn sich ergibt, dass die Abneigung nur einem muslimischen Totalitarismus gilt, ein anderer aber angestrebt wird, ist nicht viel gewonnen. Wer eine Bewegung unterstützt, die sich im Wesentlichen aus Hass auf andere speist, wird auch nur Hass ernten. Und  Hass als Haltung vergiftet nicht nur die Gesellschaft, sondern auch einen selbst. Jeder von uns kennt hasserfüllte Menschen, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand mit ihnen tauschen wollte. Und trotzdem lassen sich gerade genügend Leute darauf ein, sich selber mit dem Hass zu vergiften. Auch wenn es vielleicht gerade passend oder einfach erscheint: Sei nicht derjenige, der Hass verbreitet. Und es ist ganz egal, ob es religiöser oder politischer Hass ist. Und nein, auch wenn "die anderen" auch schlimme Dinge machen, gibt dir das noch lange nicht das Recht. Und nein, auch religiöse Empfindlichkeiten rechtfertigen keinen Terror.

3. Wenn furchtbare Dinge geschehen, gibt es sofort Leute, die diese Dinge für ihre Sicht der Dinge instrumentalisieren. Dann ist Angela Merkel an den Toten von Paris schuld  oder die Toten in Paris sind dann Beleg dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nichts bringt. Manche Leute freuen sich dann sogar, dass ihre Weltsicht bestätigt wurde. Man merkt das dann an dem triumphierenden Ton der Botschaften, die verkündet werden (natürlich muss man die Ursachen der Anschläge und mögliche Gegenstrategien genau analysieren. Allerdings dann, wenn man einmal weiss, was genau passiert ist) . Genauso wenig, wie man im eigenen Interesse anstreben sollte, sich vom Hass leiten zu lassen, sollte man stolz darauf sein, ein Aasgeier zu sein. Wenn du stirbst, wird das hoffentlich auch nicht von irgendeinem Arschloch als Beleg für irgendeine These gebraucht. Sei selbst auch nicht dieses Arschloch.

4. In Bezug auf die ganzen Rechtspopulisten/Rechtsradikalen/Nazis, die in Deutschland wieder lauter werden (Hinweis: Ja, Ihr habt recht, wenn Ihr gegen IS seid. Nein, das bedeutet nicht, dass Ihr ansonsten mit irgendetwas recht hättet, siehe oben Ziffer 2. Und jetzt ab), wird oftmals behauptet, das sei ein Problem der mangelnden Intelligenz (höhö, deutsch können sie auch nicht). Ich glaube das nicht. Intelligenz hat leider gar nichts mit Herzensbildung zu tun. Es gibt genug intelligente Leute, die böse sind. Und es gibt genügend herzensgute Menschen, denen es an formaler Intelligenz mangelt. Das Problem sind nicht die kleinen Hirne, sondern die kleinen Herzen. Und es ist eigentümlich, dass man bislang eigentlich im eigenen Interesse eher ruhig war, wenn man eine empathie- und herzlose Wurst war, inzwischen aber genügend Menschen laut werden, die gerade auf ihre Herzlosigkeit stolz sind. Hauptsache, man ist nicht naiver Gutmensch. Und viele weder besonders böse noch besonders gute Menschen überlegen sich, ob nicht Herzensbildung und Mitgefühl ein Fehler sind in diesen Zeiten. Ob nicht diese harten Zeiten eine neue Härte gegenüber den anderen erfordert (manchmal habe ich das Gefühl, dass manche Leute "24" oder "Walking Dead" als Skript für die Realität ansehen - hier wir, dort die, alle Mittel sind erlaubt). Ein kleiner Service hier im Blog: Die Zeiten sind nicht anders, Herzlosigkeit ist immer noch scheiße und wer jetzt auf seine Härte stolz ist, wird es in nicht allzu langer Zeit verleugnen, wenn der Rausch sich gelegt hat. Das gab es schon mehr als einmal, dass der Bürger kurzzeitig meinte, blutrünstiger Unterstützer sein zu müssen, der Kater kam meist recht schnell. 

5. Was bleibt? Furcht vor dem, was uns in den nächsten Jahren noch bevorsteht. Aber hoffentlich bei uns allen auch Hoffnung, sei sie religiös gespeist, sei sie auch nur daraus geschöpft, dass der Mensch trotz aller Destruktivität und Bosheit doch immer wieder große und schöne Dinge vollbringt. Was um uns herum passiert, können wir nicht oder kaum beeinflussen. Ob wir selber dabei zu einem herzlosen Arschloch werden oder nicht, allerdings schon. 

27 Kommentare:

  1. "Das Problem sind nicht die kleinen Hirne, sondern die kleinen Herzen."

    Du und ich - wir sind eins.
    Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.

    Mahatma Gandhi *♥*

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  2. 150 prozentige Zustimmung..... von Herzen kommender Gruß
    Gitta

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  3. "Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion geboren. Hass wird gelernt. Und wenn man Hass lernen kann, kann man auch lernen zu lieben. Denn Liebe ist ein viel natürlicheres Empfinden im Herzen eines Menschen als ihr Gegenteil."
    Ist leider nicht von mir, sondern von Nelson Mandela.
    Ich finde, Du hast passende Worte gefunden. Mir bleibt momentan leider nur Sprachlosigkeit...

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    1. Das ist auch mein Empfinden momentan -
      Nelson Mandela hat so recht ...

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    2. Wollen wir mal hoffen, dass der Hass auch verlernt werden kann.

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    3. Die Verhaltenstherapie beruht auf der Annahme der Behavioristen, dass alles Verhalten, das gelernt werden kann, auch wieder verlernt werden kann. Muss halt jemand machen, mit denen.

      Ansonsten bin auch ich einfach nur sprachlos.

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  4. DeinBeitrag ist es wert, nicht nur einmal gelesen zu werden.
    Wenn du es erlaubst werde ich in meinem blog drauf hinweisen.

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  5. Was für ein großartiger Artikel!
    LG
    Katrin

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  6. Dein post spricht mir aus der Seele - deshalb
    {und weil ich es auch nicht besser formulieren könnte} möchte ich gerne 'Rebloggen', finde aber keine Funktion dafür ... :?
    Nur der link ist mir bei diesem wichtigen Thema nicht genug ...

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    1. Langes Zitat mit Link? Rebloggen funktioniert bei Blogger nicht, glaube ich.

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    2. Schade - habe es nun eben nur verlinkt:
      https://charisma1blog.wordpress.com/2015/11/15/fassungslos/
      Danke für diesen post!

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  7. Wunderbar geschrieben und auf den Punkt gebracht!
    "Für alles gibt es eine Zeit... Zeit fürs Weinen und Zeit fürs Lachen, Zeit fürs Klagen und Zeit fürs Tanzen" Heute ist leider die Zeit fürs Weinen!
    Und trotzdem sollten wir die Hoffnung nie Aufgeben, das der Funken der Liebe nicht stirbt!
    Liebe Grüße
    Manu
    P.S. Leider bin ich erst heute auf deinen schönen Blog aufmerksam geworden. Kommisch, man musst erst durch einen traurigen Umweg auf Schönes gelangen! Komme nun sicherlich öfter bei dir vorbei!
    Habe deinen Artikel auf meinem Blog verlinkt, da ich ihn einfach wunderbar gefühlvoll und ehrlich finde!

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  8. Einen besseren Beitrag habe ich in den letzten 2 Tagen nicht gelesen - Respekt !!!
    Übrigens hat Frau Tonari sooo RECHT mit ihrem Kommentar.
    Viele Grüße aus Berlin Müggelheim, herzlichst
    Heidi mit Isi

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    1. Schön, dass ich auch einmal Besuch vom Filmstar bekomme ;-)

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  9. und recht hast du! zu 4. ach wärs schön das ganze mit blödheit begründen zu können. daran liegts meist nicht, es ist nur so schwer und so anstrengend seinen eigenen kopf zu benutzen, lieber was nachplappern daß einem schön schwarz weiß einfach vorgesagt wird, da ist praktischerweise das feindbild auch noch immer dabei, und man muß nicht vor der eigenen haustüre kehren. gilt für alle seiten (is und konsorten, rechte und so weiter). und zur neuen härte die gefordert wird denk an mcf helden. ein kleiner insider muß sein
    grüße michali

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  10. So ernst und so wahr, liest man Dich selten. Danke, dass Du es - auch gegen Deine sonstigen Gewohnheiten - getan hast.
    Es tut immer gut, wenn man merkt, dass man nicht allein ist.

    LG Namenlos

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  11. Es kommt mir so vor, als würden einzelne Worte und Teile deiner Sätze durch mein Hirn flitzen. Aber du hast diese Fragmente wunderbar eingefangen und eine ganzes daraus gemacht. Sehr schön formuliert.

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  12. Erst die menschliche Betrachtung anderer Menschen hat überhaupt erst die Demokratie in Europa ermöglicht. Solange man andere Menschen als Tiere oder reine Massen betrachtet, traut man ihnen auch keine menschlichen Eigenschaften zu.

    Ich muss aber auch zugeben, dass ich total verschlafen morgens die Nachricht des Angriffs vernommen habe und da überhaupt nicht empfänglich war für irgendwelches Leid. Ich finde es krass, wie alles in den letzten Tagen zu eine Mitleidswettbewerb geworden ist, von wegen wer betrachtet die Anschläge menschlicher.
    Ich ernte böse Blicke, wenn ich lache, wenn irgendwas Schlimmes passiert, selbst wenn er doch gar nicht nachvollziehen kann, was mir wirklich durch den Kopf geht. Ich bin sehr schlecht darin, auszudrücken, was ich wirklich empfinde, wenn ich nicht schreibe. Ich empfinde, aber nach außen versuche ich meistens sachlich zu bleiben, weil ich mir immer wie eine Schauspielerin vorkomme, wenn ich ein betroffenes Gesicht mache.
    Ich brauche eine Weile bis das durchsickert und mich beschämt es zuerst, wenn alle so sehr ihr Mitleid bekunden, bis ich mich frage, wie viel bei den anderen nur Show ist. Herzensbildung ist für mich immer schwer zu beurteilen, weil ich nie genau sagen kann, wenn jemand nur Mitleid vorschützt, oder ob er ernsthaft emotional einfach ein besserer Mensch ist. Ich bin es, glaube ich, erstmal nicht. Manche Menschen geben mir dieses Gefühl, dass sie emotional Dinge gut erkennen und ich bin dann umso enttäuschter und wütender, wenn sie einmal Dinge tun, die nicht mehr authentisch sind, dabei habe ich sie mir vorher zum Maßstab genommen.

    Etwas das jetzt nichts direkt mit den Anschlägen zu tun hat. Aber das mir bei Herzensbildung durch den Kopf geht.

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    1. Ich weiss, was du meinst. Ich schreibe auch selten zu solchen Themen, weil es manchmal schwierig ist zu unterscheiden, ob man eben das schreibt, was von einem erwartet wird oder das, was man tatsächlich fühlt und denkt. Und in Bezug auf die Herzensbildung ist's wohl auch so, dass jeder Momente hat, in denen er feige und herzlos reagiert, auch wenn er das sonst vielleicht selten ist. Wir haben alle kleine Herzen, manchmal. Wir sollten aber nicht stolz darauf sein...Liebe Grüße, Andreas

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