Everybody's fucked in their own special way

Samstag, 8. Juli 2017

Btrübliches - Hilf Berlin, Berlin zu bleiben



Es gibt eine neue Berlin-Imagekampagne. Ich hätte das zunächst gar nicht mitbekommen, aber an der Wollankstraße tauchten so merkwürdige Plakate auf. Auf einem sieht man einen der Ochsenknecht-Sprösslinge*, der den Spruch "Mit Servus gibt's kein Service" vor sich hält. Das soll der lustige Spruch sein, mit dem ein Berliner Verkäufer einem Neuberliner klar macht, dass er zur Begrüßung besser nicht "Servus" sagen sollte, sondern eine traditionell Berliner Begrüßung wählen muss, wenn er denn bedient werden will (ich habe keine Ahnung, was die korrekte Berliner Begrüßung wäre, wahrscheinlich "Tach" oder ein lautes Rülpsen). Das ist alles rätselhaft, weil "Servus" ja bedeutet "Ich bin dein Diener" und faktisch ist das die Einstellung, mit der man in manche Berliner Geschäfte oder Gaststätten gehen sollte. Aber gut, warum nicht. Nichts gegen gesunde Assimilation! Das Motto ist, "Hilf Berlin, Berlin zu bleiben" und ich habe ja große Sympathie für Leute ohne Ehrgeiz. Über die Website der Kampagne habe ich erfahren, dass das ein Bkenntnis** sei, zu Berlin, und da gibt es noch mehrere. Zum Beispiel von einem, der erzählt, dass jemand in München zu ihm gesagt hätte, "solch a Hosn könnens doch nicht tragen".  Dieses Bkenntnis soll helfen, "das einzigartige Lebensgefühl Berlins zu bewahren und uns zu Werten wie Toleranz, Offenheit, Freiheitsliebe und Unangepasstheit zu bekennen". Nix dagegen,  wir lernen, dass Toleranz heißt, sich nicht über die Kleidung anderer zu ereifern, aber aufzupassen, dass niemand die falsche Begrüßung in einem Geschäft wählt. Na serwas! Ich nehme an, dass es positiv aufgenommen worden wäre, wenn die Münchner die Bedienung verweigert hätten, wenn jemand mit "Guten Tach" in den Biergarten gegangen wäre, andererseits hätte die Kampagne sicher etwas dagegen gehabt, wenn es in Berlin "Kein Service mit dieser Hose" geheißen hätte. 

Ich schaue mir weitere Bkenntnisse an. Irgendeine junge Dame, die bekannt durch ihre Popularität ist, berichtet, dass sie nackt mit der Bahn fuhr und der Kontrolleur fragte "Haben Sie einen gültigen Fahrschein?".  Für alle, die diesen Riesengag nicht verstehen schreibt die Kampagne netterweise dazu "Wo versteckt die nackte M.S. ihren Fahrausweis?". 

Nun muss ich zugeben, dass die Kampagne einige der Berliner Vorteile sehr präzise benennt. Allen ist alles wurscht und die soziale Kontrolle - es sei denn, man sagt "Servus" oder ist Schwabe - ist praktisch nicht vorhanden. Deswegen kann ich mich über die vergurkte Kampagne auch gar nicht so aufregen, wie ich es gerne täte. Diese Kampagne ist größenwahnsinnig (ein Motiv lautet: "Ja, ich bin perfekt für New York. Aber New York ist nicht perfekt für mich." Immer New York, drunter macht's der Berliner nicht), sie ist übergriffig und distanzlos (wo ist wohl der Fahrschein versteckt?), sie hat keinen Blick für die wirklichen wunderbaren Seiten von Berlin, sondern kleistert alles zu mit B-Promis und Stereotypen, die selbst Mario Barth langsam peinlich wären. Damit passt sie tatsächlich einigermaßen zu dieser Stadt.

Ich selbst bin ja erst seit 20 Jahren hier, liebe die Stadt still und verzweifelt, sage auch nicht "Servus", sondern ab und zu mal "Helf Gott", wenn jemand niest. Aber "Helf Gott" steht auch an dem Portal der Agrarwissenschaftlichen Fakultät an der Invalidenstraße, ich nehme also an, dass ich das sagen darf, ohne dass ein Ochsenknecht-Sprößling oder eine Bäckerei-Verkäuferin mich an den Pranger stellt.


(Foto: Annika. Ist zwar nicht Berlin, aber könnte es durchaus sein.) 



*Ich mache mich jetzt nicht über den Vornamen lustig, denn erstens müsste ich dann nachsehen, wie der eigentlich hieß, und zweitens kann niemand etwas für seinen Vornamen. Der Vorname sagt eigentlich nur etwas über die Eltern aus, nichts über den Träger. Und wer der Auffassung ist, dass er sich wegen des Namens nie in eine Jacqueline-Chantalle oder in einen Jerome-Kevin verlieben könnte, ist ein armer und phantasieloser Tropf (m/w). 

** Dit schreibt ma so. Hülf Balin, Balin zu bleiben. ("Wir sind die drei Kapeiken, unsere Oberstübchen streiken.")

8 Kommentare:

  1. Wer steckt hinter der Kampagne? Mit der S-Bahn und Air Berlin zwei Transportversager, mit Pin ein Unternehmen, das sich auf den aussterbenden Briefverkehr konzentriert, und der Telespargel Ost. Läuft!

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  2. 'It's high to be a Preiß', but it's higher to be a Bayer!'
    Bierdeckelspruch im Hofbräuhaus zu München, anno Knack bei Schulausflug bemerkt und GEmerkt! :-D

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    1. ... UND noch FALSCH gemerkt !! (Erosion des Gehirns!)
      It's NICE to be a Preiß', but it's higher to be a Bayer!

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    2. Das kenne ich auch noch. Aus meiner Sicht ähnlich behämmert wie die Berlin-Kampagne.

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    3. Eben, deshalb fiel mir der blöde Spruch auch sofort ein. Aber der Spruch ist immerhin durch das "Thoma'sche" Filser-Englisch auch mit etwas 'eingebautem' Augenzwinkern. Und genau das Augenzwinkern fehlt meiner Meinung nach der Berlin-Kampagne.

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    4. Ich weiß gar nicht. Die Stadt zwinkert eigentlich kaum bzw. das augenzwinkernde Berlin ist meist wenig erträglich. Deswegen finde ich das nicht so schlimm.

      "Englische Filserbriefe"! Die hatte ich auch schon vollkommen vergessen... "Dear Gisela..."

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  3. Ich habe auch viel Sympathie für Leute ohne Ehrgeiz ;)

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