Everybody's fucked in their own special way

Samstag, 15. Juli 2017

Nach dem fünften Jahr

Ein Freund und Kollege von mir, der stundenlang in einem russischen Zug unterwegs war, versuchte die kyrillischen Buchstaben auf den Wandplakaten zu entziffern und verfiel dabei in eine Art reverie darüber, was sie bedeuten könnten und - dem Prinzip der "freien Assoziation" folgend - woran sie ihn erinnerten, und er befand sich alsbald inmitten von allerlei Reminiszenzen. Zu seinem Leidwesen entdeckte er unter denselben auch ein paar alte und höchst unangenehme Gefährten schlafloser Nächte, [...] . Durch freie Assoziation stößt man auf die kritischen geheimen Gedanken, gleichgültig, von welchem Ausgangspunkt her, ob von Symptomen, Träumen, Phantasien, kyrillischen Buchstaben oder Bilder moderner Kunst. [...]"

C.G. Jung, Traum und Traumdeutung

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Ich kenne einen Mann, der auf dem Weg zur Arbeit die Augen offen hält und aufmerksam alles am Wegesrand registriert und dokumentiert. Seine Gedanken sind nicht durch alltägliche Sorgen oder Überlegungen zu seiner Arbeit verklebt und verkümmert, er sieht mehr als alle anderen Passanten. Sein Blog ist daher gelebter Zen-Buddhismus. Kennen Sie ihn zufällig?

Matthias Eberling, Tote wissen nichts

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Fünf Jahre sind vergangen, knapp 1800 Posts. Blogs wachsen, sie entwickeln sich. Noch habe ich nicht das Gefühl, dass das nur noch eine mechanische Übung ist oder ich mich nur noch wiederhole, also kann ich noch weitermachen. Richtschnur ist hier immer, dass mich der Kram hier selbst interessieren muss. Ob die Leser sich drauf einlassen wollen, müssen sie selbst wissen. Dieser Blog überlässt ja ohnehin den Lesern die meiste Arbeit. Wie in dem einleitenden Zitat ausgeführt, ist das Material, über das man sinniert, egal. Es weist einen immer nur auf das hin, was ohnehin in einem schlummert.

Beim zweiten Zitat bin ich so unbescheiden, es auf mich zu beziehen, muss aber gleich sagen, dass ich den Mann (leider) nicht kenne. Ich wäre sicher gerne frei von alltäglichen Sorgen, bin's aber nicht. Jeder Blog ist im gewissen Maße Inszenierung, der Blogbetreiber bestimmt, was der Leser zu sehen kriegt und was vor ihm verborgen bleibt. Ich lasse hier das meiste weg, was mit anderen Menschen zu tun hat, zumindest soweit es negativ ist. Die Familie wird ohnehin inzwischen weitgehend ausgespart, weil die sich auch Schöneres vorstellen kann, als Personal einer schlechten Sitcom zu sein. Was die sonstige Umgebung betrifft: Sich über identifizierbare Leute in einem anonymen Blog aufzuregen, ist immer eine schwierige Abwägung. Deswegen bleibt hier einiges ausgespart, was den stoischen Eindruck beeinträchtigen könnte. Ich fände es interessant, mehr über die Arbeit und die entsprechenden Konflikte zu schreiben, das müsste dann aber in anderer, stärker verfremdeter Form geschehen. Das wäre eher zeitaufwendig.

Über die fünf Jahre haben sich die Inhalte hier durchaus verändert, auch wenn das Grundkonzept noch einigermaßen intakt ist. Am Anfang habe ich mich einiges gar nicht zu schreiben getraut, weil ich Sorge hatte, jemand könnte Anstoß nehmen. Relativ rasch habe ich gemerkt, dass dafür erst einmal jemand den jeweiligen Text lesen müsste. Inzwischen mache ich hier weitgehend, was ich will. Pöbelkommentare habe ich bislang noch keinen bekommen, das Schlimmste war mal jemand, der ausgiebig meine Fotografien lobte, das vertrage ich nicht (da habe allerdings ich gepöbelt, naja)

Ich habe mich immer eher als Schreiber gesehen und ich bin auch überzeugt, dass ich eher in der Lage bin, einen vernünftigen Text zu schreiben als ein vernünftiges Foto zu schießen. Trotzdem ist das hier alles furchtbar bildlastig, vor allem deswegen, weil ich für Texte viel zu lange brauche. Es bleibt also bei dem Paradox, dass das hier ein bildlastiger Blog ist mit Fotografien, die meistens formal ungenügend bleiben. Schlimmer noch, mich interessiert es auch gar nicht, hier besser zu werden. Das ist so eine Art lo-fi-Ansatz, der es wohl einigen unmöglich macht, hier regelmäßig vorbei zu schauen. Das tut mir leid, aber ich werde es nicht ändern (selbst wenn ich das könnte). 

Wie schon im letzten Jahr geschrieben: Die Leserinnen haben die Option, anderswo hinzugehen, wenn ihnen das Programm hier nicht passt. Ich habe die Option leider nicht, sondern muss mit meinen guten und weniger guten Einfällen leben.

Die Zugriffszahlen sind inzwischen gar nicht mehr sinnvoll ermittelbar, da der Blog seit etwa einem dreiviertel Jahr von französischen Bots besucht wird, die etwa fünf Mal so viel Zugriffe generieren wie die "richtigen" Besucher. Die Statistiken versinken damit im Schlamm der virtuellen Besucher. Wenn ich mir sehe, was aus deutschsprachigen Ländern kommt, schätze ich, dass hier täglich etwa 40-60 Leute aufschlagen, relativ konstant. Das ist nicht furchtbar viel, aber ich bin vollkommen zufrieden. Schließlich werden hier keine Themen behandelt, die spannend wären, sondern eher merkwürdige Sachen. Meine Besucher sind aber zumeist mitteilsam, freundlich und witzig. Was will man mehr? Häufig stehen in den Kommentaren Dinge, die meine Gedanken anregen und mich freuen oder die den Post besser oder witziger machen. Wenn ich mir ansehe, wie es ansonsten in Kommentaren oft aussieht, weiß ich das sehr zu schätzen. 

Über die Jahre habe ich mich auch immer gefreut, in Kontakt mit anderen Bloggern zu kommen. Das funktioniert ganz gut, einige kenne ich jetzt auch persönlich, anderen schreibt man gelegentlich E-Mails, mit vielen habe ich regelmäßig Kontakt. Ich hatte früher immer Brieffreunde, das scheint mir hier eine Fortsetzung der Brieffreundschaften mit anderen Mitteln zu sein. Über die Jahre haben einige aufgehört, manche sind verstummt, andere verschollen in den großen Berliner Bloggerkriegen, von anderen hört man nur noch sporadisch, aber das ist halt der Lauf der Dinge und auch, wenn man manchmal lange Zeit nichts mehr voneinander hört, ist der andere doch nicht vergessen. Ich stöbere auf jeden Fall immer noch gerne in den über 70 Blogs, die bei mir in der Blogroll sind (auch wenn davon inzwischen eine große Anzahl inaktiv ist). Aber ich finde auch immer wieder neue Seiten, die ich gerne lese.  Ich glaube auch, dass ein Netzwerk von Bloggern notwendig bleibt, damit das ganze Unterfangen noch Sinn hat. Irgendwann kann ich sonst meine Posts auch mit Edding in den Unterführungen aufmalen. Es scheint mir aber so zu sein, als würden verstärkt Leute mit Blogs aufhören, während nicht mehr so viel nachkommt. Man wird sehen. Vielleicht muss man irgendwann wirklich wieder anfangen, Briefe zu schreiben und kleine kopierte Heftchen zu verschicken, wie zu Punk-Fanzine-Zeiten. Wenn meine Einschätzung der Zugriffe auf AiP einigermaßen zutrifft, wäre das wahrscheinlich sogar machbar. 

(Und nein: Mein neues Fanzine würde dann nicht mehr "Die Deutsche Bäckar-Zeidung" heißen.)

Abschließend möchte ich allen Leserinnen, Kommentatorinnen und Sympathisantinnen jeglichen Geschlechts für Besuch und Wohlwollen danken. Ich werde mich bemühen, auch im nächsten Jahr wieder täglich eine kurze Notiz zu veröffentlichen. Und es wird mir gelingen, Euch zu überraschen, weil ich ja selbst meist am Abend noch nicht weiß, was da am Morgen stehen wird. 

Und wer noch das Geheimnis dieses Blogs wissen will, Grant Snider hat es hier aufgeschrieben. 

(Morgen gibt es dann noch die große Jubiläumsverlosung, danach die übliche Sommerpause.)  


28 Kommentare:

  1. BÜRSTE
    SCHWARZ
    PROMO
    VIRGINIA

    Na, hast du dich verlesen ?

    ...auf die Verlosung gibbelnd
    fetten ✿5 Jahres ✿ Gratulations-GRUß✿ abstell
    + SCHÖN, dass ich hier - täglich - mitlesen und spielen darf (ړײ)

    Annette -> ♥

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  2. Fünf Jahre Ackerbau in Pankow,
    vielen Dankow...

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    1. Na, da weiß ich ja, was ich dir zum Jubiläum schreiben werde:
      Fünf Jahre andere Kamera, der Hammer, wa?

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  3. 5 Jahre pay attention! Ich gratuliere herzlich. Ich finde, das hier ist ein symphatisches Blog und sein Betreiber ein liebenswürdiger und freundlicher Mensch. Ist ganz kommod hier.

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    1. Der ganz kommode Blog für liebenswürdige Menschen - damit komme ich dann noch durch die nächsten Lebensjahrzehnte..

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    2. Ja, da schließe ich mich gerne an. Es ist täglich spannend, auch wenn ich nicht alles auf Anhieb verstehe, freundliche Menschen spielen etwas, so ist es gut.

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    3. Ich verstehe hier auch nicht alles, schon lange nicht mehr.....

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  4. Und in Pankow klingt´s lange noch
    Herr Ackerbau, der lebe hoch!


    Herzlichen Glückwunsch an Sie und Ihre Leserschaft zu 5 Jahren bester, rätselhafter und kluger Unterhaltung!

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    1. Besten Dank! Ich werde mich jetzt einen Tag im Glanz rätselhafter Klugheit sonnen.

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  5. :) Wie Roswitha schreibt: Freundliche Menschen spielen etwas, das triffts recht gut! Genau deswegen schau ich hier immer wieder gerne vorbei. Die Rohrschachtests sind immer wieder verblüffend. Alles Gute zum 5. Blog-Geburtstag!

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  6. Herzlichen Glückwunsch! Ich bleibe auf jeden Fall, es gefällt mir hier.

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    1. Das freut mich! Zukünftige Weltbeherrscherinnen hat man besser auf seiner Seite.

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  7. Glückwunsch, 5 Jahre ist schon mal recht gut. Das Parasito Boot finde ich super, steht das in Berlin einfach so rum?
    Liebes Wuffi Isi,
    (Ick bin och een Berliner)

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    1. Der Parasit ist aus Griechenland. Gruß in den Berliner Süden!

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  8. Happy Bloggeburtstag. Mögen noch viele weitere Jährchen folgen.
    Der Ackerbau-Blog hat dazu geführt, dass ich beim Anblick von Tomaten oder deren Pflanzen immer an Dich denken muss. Ist doch ne nette Assoziation, oder?
    Bei mir steht der 9. Bloggeburtstag demnächst an. Aber momentan ist es recht ruhig. Ich habe Schulter und muss den Mausarm schonen. Gaaaaanz schlecht fürs Bloggen. :-(
    Ich habe auch den Eindruck, dass ein allmähliches Blogsterben einsetzt. Außer denen, die Produkttests favorisieren.
    Liegt wohl an Instagram. Dort bekommt man seine Likes schneller. ;-)

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    1. Dafür muss ich immer an dich denken, wenn ich irgendetwas sehe, was mit Stadtentwässerung zu tun hat (also täglich). Und in der Arbeit denke ich mir auch häufiger: Was würde Frau Tonari dazu sagen?

      Dir gute Besserung! (Ich weiß, ich spreche für viele.)

      Und wenn wir auch immer wieder mal pausieren, Produkttests fangen wir nicht an, oder?

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    2. Never ever.
      (Außerdem würden bestimmt Antikaufempfehlungen draus.)

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    3. Gute Besserung - der Mausarm MUSS für Bloggende einfach einsetzbar sein ... :)

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  9. Herzlichen Glühstrumpf zum 5. Blogackerjahr! :D
    Der wichtigste post war {für mich} im November 2015 "Grundsätzliches" - viele sind interessant und geben mir über Berlin Aufschlüsse, aber dieses statement hatte und hat mein Kopfnicken und Zustimmen UND Applaus verdient ;)
    Weiter so die nächsten Jahre ...

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  10. Bummelige, verspätete Glückwünsche auch von mir. 5 Jahre sind schon ne Hausnummer! Auf die nächsten 5 ;)

    LG Namenlos

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  11. Oh, da habe ich doch tatsächlich während meiner Urlaubsabwesenheit die 5-Jahres-Feier überlesen. Ich gratuliere auch ganz herzlichst und hoffe auch weiter das Kommentarfeld mit besäen zu dürfen, damit der Ackerbauer was zu ernten hat... hehe...

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