Seiten

Sonntag, 8. Dezember 2013

McCartney-Scheiße

(Zweiter Advent fällt im Blog wegen wichtigerer Termine aus: Zum Todestag von John Lennon)

Das ist schon lange her.

Ich saß in der Bademeisterkabine des Hallenbads des Kurkrankenhauses und hatte das Beatles-Songbuch aufgeschlagen. Es waren die letzten Wochen meines Zivildienstes und ich musste noch einmal Bademeistervertretung machen. Von der Kabine aus sah man nicht einmal auf das Becken, es hätten also alle ertrinken können, ohne dass ich irgend etwas gemerkt hätte. Beim Becken war eine Temperatur von 30 Grad, bei feuchter und chlorgetränkter Luft, nichts, was man lange ausgehalten hätte. Der Vorteil des Bademeisterjobs war, dass man genügend Zeit zur freien Verfügung hatte. Und man musste keine Bäume fällen. Das letzte Mal hatte ich in zwei Wochen "Joseph und seine Brüder" gelesen, dieses Mal hatte ich ein Schulheft mit 66 Seiten, das ich neben das Beatles-Songbook legte, und in das ich die Texte und Akkorde der Lieder übertrug, die ich gelegentlich auf der Gitarre spielte oder spielen wollte. Am Schluss hatte ich über 60 Lieder, teilweise sehr vereinfacht, wenn ich einen Akkord nicht kannte, ließ ich ihn auch mal weg. Dieses Schulheft sollte in meine Gitarrentasche, wenn ich mich nach dem Zivildienst, nach diesen quälenden 20 Monaten, in den Süden aufmachen wollte. Unterwegs nur mit Rucksack, Hängematte, Schlafsack und Gitarre. (Ich hab's mir mal wieder rausgekramt, in meiner jugendlichen Bescheuertheit habe ich tatsächlich alles mit Füllertinte notiert, ein Wunder, dass das Heft nie nass geworden ist).


Ein paar Monate später saß ich auf einer Ägäis-Fähre, auf dem Weg nach Santorin. Ich war allein unterwegs, aber wie immer dauerte es nicht lange, bis jemand kam, der fragte, ob ich ein Lied spielen könnte oder ob er einmal spielen dürfte. Bald saß man da, die Gitarre ging rundum, die Weinflaschen auch. Bei den Musikstücken waren neben Beatles auch Stones -Stücke sehr beliebt, bei den häufigsten Wünschen (Let it be, Yesterday und Hey Jude), musste ich aber ablehnen.
- Ne, spiel ich nicht.
- Warum?
- McCartney-Scheiße.


Nicht jeder konnte das nachvollziehen, aber wer unter den sechzig anderen Liedern nichts fand, das ihm behagte, dem konnte ich auch nicht helfen. Auf der Fähre war eine Australierin, die auf Europaurlaub war, und die sich mein Schulheft durchblätterte. Bei "Only A Northern Song" fragte sie, ob das nicht zu schwer zu spielen sei. Ich war komplett überrascht, dass überhaupt jemand das Stück kannte. Für mich eines der liebsten Harrison-Lieder, in Beatles-Biographien allerdings gerne auch kompositorischer Tiefpunkt genannt. Ich spielte ein paar andere Harrison-Lieder für sie, "Something", "While my guitar gently weeps", "Don't bother me", wir unterhielten uns über Harrison und Clapton ("While my guitar gently weeps"), über Clapton und Harrisons Frau ("Layla"), über Lennon und McCartney, die bei "We love you" von den Rolling Stones Background Chor sangen, vielleicht auch über McCartney wie er auf dem Beach Boys-Track "Vegatables" in eine Mohrrübe beißt, über Hendrix, den McCartney nach London geholt hatte, und darüber, dass "Helter Skelter" McCartneys Versuch gewesen sein könnte, auf Hendrix zu reagieren, und wie man das an der Verwendung des E7(#9)-Akkords, den Hendrix auch bei "Hey Joe" verwendet hatte, ablesen könne. Die Zeit verging, die Australierin musste leider in Naxos aussteigen und ich noch weiter fahren. Manchmal wünsche ich, ich wäre mit ihr ausgestiegen. 


***

Ein paar Wochen später, ich wache in meinem Schlafsack auf einem Campingplatz auf, weil mir die rechte Hand furchtbar weh tut. Am Abend saß ich mit ein paar anderen Campern am Strand, neben den fürs Lagerfeuer arrangierten Punkstücken, die damals zu meinem festen Repertoire gehörten, hatte ich natürlich Beatles-Lieder, aber auch "Sympathy for the devil" von den Stones gespielt, und musste es immer wieder und wieder wiederholen, weil den anderen das Eindreschen auf die Saiten beim Refrain so gut gefiel. Dafür waren jetzt mein rechter Ring- und Mittelfinger nur noch eine verbackene Mischung aus Blut und Sand (nach dem Abwaschen war's dann nicht mehr ganz so schlimm). Die Gitarre war mit Blutspritzern übersäht. 

Am Schlimmsten war aber, dass ich offensichtlich im Suff mein Songbook am Strand liegen hatte lassen, es war nicht in der Gitarrentasche. Ich stand wacklig auf und ging zum Strand und konnte mein mühevoll erstelltes Songbook nicht finden. Da konnte mich auch nicht trösten, dass die ältere Campertruppe neben mir zum Frühstück die Stiff little fingers-Cassette laufen ließen ("wir konnten gestern wegen eures Krawalls nicht schlafen, ahben gehört, wie du "Nobody's hero" von Stiff little fingers gespielt hast, da dachten wir, das könnten wir auch mal wieder hören"). Am Nachmittag stellte sich dann heraus, dass einer der Strandkollegen mein Songbook eingepackt hatte, weil ich dazu nicht mehr in der Lage war. Glück gehabt, die Beatles konnten mich noch weiter begleiten.
  
***

(Fortsetzung folgt)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen