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Sonntag, 23. August 2015

Stadtschloss, Ornament und Verbrechen

1. Vorbemerkung: Ich sollte nicht über Dinge schreiben, von denen ich nichts verstehe. Ich sollte nicht über Dinge schreiben, von denen ich nichts verstehe. Ich sollte .....

2. Vorbemerkung: "Durch Deutschland zieht ein apokalyptischer Reiter, der für viere ausgibt. Er ist Volldampf voraus in allen Gassen. Sein Schnurrbart reicht von Aufgang bis Niedergang und von Süden gen Norden."  (K. Kraus, 1909)

Manchmal helfen einem Reisen, das Zuhause besser zu verstehen. Ich habe im Urlaub, eher zufällig, zum Teil sogar widerwillig, ein paar Gebäude gesehen, die mir halfen, das Berliner Stadtschloss-Projekt besser einzuordnen.

Zuerst sahen wir uns das Schloss in Hechingen an. Mitte des 19. Jahrhunderts als neogotischer Bau auf der Ruine einer alten Burg gebaut. Das Schloss ist ein Fiebertraum eines Architekten, der sich eine mittelalterliche Burg zusammenfantasiert. Die Gotik ist mit halbmaschinell gefrästen Teilen ausgeführt, das ganze Gebäude hat keine Funktion mehr, weil man halt Mitte des 19. Jahrhunderts keine Burgen mehr brauchte. Die einzige Funktion war eine psychologische, das Haus der Hohenzollern wollte mit dem kostspieligen und sinnlosen Bau zeigen, dass es in der ritterlichen Tradition des Mittelalters stand. Besonders den Hohenzollern, die den preußischen König stellten, war diese Anknüpfung an das heilige römische Reich deutscher Nation wichtig; bald sollten sie ja auch wieder den deutschen Kaiser stellen. Ich habe keine Ahnung von Architektur, aber eine Konstruktion, die im Wesentlichen eine vergangene Epoche nachahmt, um Gebäude zu erstellen, die eigentlich keinen Zweck mehr erfüllen müssen, macht mich traurig.  Allerdings muss man auch sehen, dass so ein Projekt gute Voraussetzungen für unfreiwillige Komik in sich trägt, so zum Beispiel bei diesem Ritter in Strumpfhosen mit naturalistischem Faltenschlag oder die merkwürdigen Ornamente, die man so auch auf den ganzen Berliner Gründerzeitbauten findet.  

(Man kann ja über die Preußen sagen, was man will, aber sie hatten schon knackige Hintern.)

(Bonzo the dog)

(Fotografiert habe ich dann allerdings nur noch den Rankgolem im Innenhof.)

Den Besuchern ist's natürlich wurscht, grundsätzlich ist das auch nichts anderes als in Neuschwanstein, nur dass der wahnsinnige König dort keine machtpolitischen Pläne hatte, sondern einfach nur so sponn (spinnte? Scheiß-Verbformen, das Web sagt mir spann, ich glaube jetzt gar nichts mehr) und sich sinnlosen Kram bauen ließ, während sein Volk hungerte.

Es ist sicher kein Zufall, dass in diesem Hohenzollern-Rittermuseum unter der teilweise furchtbar schlechten Kunst auch verschiedene Bilder des Berliner Stadtschlosses zu finden sind. Sie zeigen eindrucksvoll, dass auch schon das originale Stadtschloss ein potthäßlicher Bau war, vor dem sich der Palast der Republik nicht verstecken musste (ich bin ja wahrscheinlich jeglicher Ostalgie unverdächtig, ich habe lange Jahre vom Bürofenster einen guten  Blick auf den Palast gehabt und fand ihn als Gegengewicht zu dem ebenfalls unerträglichen Berliner Dom immer überaus passend).   

So weit, so traurig, den Deutschen ist ja aber ein Sinn für Romantik eigen, der die vergurkte Kopie einem guten Original immer vorzieht. Und der Anfang des 20. Jahrhunderts in einem hochtechnisierten Staat die Selbststilisierung des Staatsoberhaupt als ritterlicher Herrscher begeistert aufnahm. 

Ohne dass es mir richtig klar war, stand noch ein weiteres Stück hohenzollerscher Restauration auf unserem Programm. Im Elsaß stand ein Besuch der Hautekoenigsbourg an, die ich schon ein paar Mal gesehen habe, ohne den geschichtlichen Hintergrund richtig aufzunehmen. Die Hautekoenigsbourg wurde von 1902-1909 von Wilhelm II. restauriert, die ursprüngliche Burg war von den Hohenstaufern, auch Friedrich Barbarossa, genutzt worden und mehrfach zerstört worden, Ende des 19. Jahrhunderts stand nur noch etwa 70 % der Bausubstanz. Der Wiederaufbau wurde auf der Grundlage der im 17. Jahrhundert zerstörten Form der Burg vorgenommen; nach heutigen Maßstäben sicher nicht mehr adäquat, aber grundsätzlich sehr sorgfältig vom Architekten Bodo Ebhardt. Die Burg wurde allerdings gleich als Museum konzipiert; der Kaiser hätte, selbst wenn er gewollt hätte, nicht dort wohnen können; es gibt in dem ganzen Schloss nur ein Bett. 

Warum der ganze Aufwand? Wilhelm II. baute die Burg wieder auf, um seinen Anspruch auf das Elsaß zu untermauern, und natürlich auch seinen Anspruch, in der Nachfolge von Barbarossa und den anderen Kaisern des heiligen römischen Reiches zu stehen (das ja territorial noch ein bisschen interessanter war als das deutsche Reich Anfang des 20. Jahrhunderts). Dieser Anspruch wurde auch in der Inneneinrichtung unterstrichen; in dem neu gestalteten Festsaal findet sich als Deckenbemalung der deutsche Reichsadler mit der Inschrift "Gott mit uns". 

Wenn man dieses hysterische Huhn mit dem Anspruch der göttlichen Unterstützung sieht, muss man nicht viel mehr zu den letzten Tagen des deutschen Kaisertums wissen. Alles, was danch kam, ist darin enthalten. Mit Gott, mit G.* Wie das aussieht, zeigt das Relief auf einer Kanone in der Burg:

(Ich würde das ja gerne dem protestantischen Wilhelm anlasten, aber das ist leider gelebtes Christentum aller Konfessionen der letzten Jahrhunderte. Der Doppeladler hinter dem Kreuz weist auch eher Richtung katholische Habsburger, denen das Schloss auch einmal gehört hat.)

Die Hautekoenigsbourg ist eine Mischung aus Überhebung, Pathos, falscher Romantik und verfolgender Unschuld: eine sehr deutsche Mischung (wer ein bisschen darüber nachdenken will: man findet diese Mischung heute noch oder heute wieder). Die Anknüpfung ans Rittertum, das zeitlich und inhaltlich unerreichbar war, kann in dem Festsaal nur noch in einer Art schlechter Superheldenästhetik des frühen 20. Jahrhunderts bewältigt werden:



In der Waffenkammer findet man aber auch das wahre deutsche  Antlitz und das sieht wohl so aus:

***

Diese ganzen Gräßlichkeiten haben mir aber den Sinn des Stadtschlosses erschlossen: es handelt sich nicht um ein funktionales Bauwerk, sondern nur um ein politisches Symbol. Es soll - wie schon Hechingen und Hautekoenigsbourg - an andere Zeiten anknüpfen, wird auf modernste Weise hergestellt, dann werden ein paar historische Ornamente angepappt. Die Intention ist natürlich nicht mehr die wilhelminische, nur eine historisierende, romantisch verklärende. Man kann sich jetzt die Fragen stellen, ob das eine Perspektive ist, die uns weiterbringt, und ob diese Mischung schon jemals gute Auswirkungen hatte. Die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe.  

* Mit G.: Wilhelm II. bezog sich Anfang 1918 auf die 8. Isonzoschlacht, bei der die Italiener durch Giftgasangriffe besiegt wurden, mit den Worten: "Was nun erfolgte lag so weit über alle Berechnung hinaus, dass hier eine höhere Macht als Menschenhand waltete. Der furchtbare Zusammenbruch des Gegners war ein Gottesgericht." Die Glossierung dieses Ausspruchs durch K. Kraus im Mai 1918: "Manche Fromme, die es überlebten und die vielleicht scheuen, den Namen Gottes auszuschreiben, werden nachhause berichtet haben, dass der Durchbruch mit G. erfolgt sei." wurde von der österreichischen Zensur konfisziert.

3 Kommentare:

  1. Das Stadtschloss ist so überflüssig wie ein Kropf. Dieser historisierende Kitschpalast ist aber vielleicht auch ganz adäquat für die mediokre Architektur, mit der Berlin allüberall zugestellt wird. Ich frag mich langsam, wofür Berlin die Stadtentwicklungssenatorin Frau Lusche, äh, Lüscher eigentlich bezahlt.

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    1. Das, was städtebaulich seit inzwischen Jahrzehnten in Berlin verbro... äh begangen wird, ist für mich einer der Gründe, nicht mehr in meine alte Heimat- und Geburtsstadt zurückkehren zu wollen (ich kann allerdings keineswegs behaupten, in Rostock liefe die entsprechende städtebauliche Planung und Entwicklung auch nur etwas besser, wohne hier allerdings so ländlich, dass es mir letztlich egal ist). Mit dem absurden Verkauf des gesamten Potsdamer Platzes für etwas mehr als ein Butterbrot (angesichts der damals bereits desolaten Haushaltslage!!) an gerade mal zwei Konzerne fing das alles an. Man kann eigentlich nur Max LIebermann zitieren.

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  2. Von Architektur habe ich ja leider gar keine Ahnung, aber hier merke selbst ich, dass etwas schief läuft...

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