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Montag, 8. Mai 2017

Der Herr der Ameisen

Ich sitze in einer Besprechung im Süden Berlin. Freitag nachmittag, draußen singen die Vögel. Wir sitzen in einem Besprechungsraum, in der Mitte sind einzelne Tische zu einem großen Besprechungstisch zusammengeschoben. In der Lücke zwischen den Tischen läuft ein Kabel für eine Telefonspinne, falls jemand telefonisch zugeschaltet werden sollte. Heute ist das nicht der Fall. Ich mache mir eine der kleinen Cola-Flaschen auf und gieße sie in mein Glas und höre nur mit halbem Ohr zu. Hier wird gerade nichts von mir erwartet, andere haben hier zu tun. Auf einmal stelle ich Bewegung auf dem Tisch fest. Zu mir krabbelt eine kleine schwarze Ameise. Sie bleibt kurz vor meinem Platz stehen, kurz darauf kommt eine weitere, die fast am selben Platz anhält. Ich vermute, das ist die Stelle, an der ich den Kronkorken der Cola-Flasche vorher abgelegt habe. Die beiden Ameisen stehen sich gegenüber, bleiben fast reglos. Nach kurzer Zeit krabbelt eine wieder zurück, die andere bleibt am Platz. Wo kommen die Tiere her? Ich sehe, dass sie das Telefonkabel herauf- und herunterkrabbeln. Wenn sich zwei Ameisen treffen, bleiben sie kurz stehen, berühren sich mit den Fühlern und krabbeln dann weiter. Inzwischen sind immer mehr Ameisen an dem ominösen Fleck angelangt, sie stehen dort wie ein symmetrisches Ornament, die Köpfe in der Mitte zugewandt. Sie verharren lange dort, ich überlege schon kurz, ob sie noch leben. Aber wie auf ein geheimes Signal hin bewegen sie sich wieder, jede in eine eigene Richtung. Inzwischen ist großer Betrieb auf dem Telefonkabel, Ameisen krabbeln hoch, Ameisen krabbeln herunter. Aus irgendwelchen Gründen kommen die Tiere aber nur zu mir, die anderen Teilnehmer bleiben verschont. Ich bin der Herr der Ameisen. 

Ich zähle überschlägig. Es müssen so zwischen 20 und 30 Tiere sein, die jeweils auf der Tischplatte herumlaufen, ich weiß natürlich nicht, wie viele noch am Boden unterwegs sind. Eine Ameise schafft es zu meinem Trinkglas, das inzwischen leer ist, klettert hinein und wieder hinaus, läuft über das Telefonkabel und hat den Kollegen, den er dort begegnet, wohl einiges über seine Fühler zu erzählen. Ich bin nur noch mit einem halben Ohr bei dem Meeting, werde überraschend etwas gefragt, "Sie vermissen wohl Ihre Themen, Herr A.", ich kann natürlich schlecht sagen, dass ich gerade die Ameisen interessanter finde und halte deswegen einen kurzen wohl ausgewogenen Stegreif-Vortrag zu all den Dingen, die aus meiner Sicht angemerkt werden müssten. 

Als sich das Meeting auflöst, bittet mich ein Beteiligter noch um eine kurze Besprechung. Während wir zu zweit dort sitzen, kommt ein junger Mann, der Kammerjäger. Die Ameisen sind offenbar auch schon den Hausherren aufgefallen. Er verteilt kleine Tropfen von Flüssigkeit am Boden, um die sich die Ameisen scharen. Er erläutert, dass die Tropfen Gift enthalten, dieses Gift von den Ameisen in den Bau zur Königin gebracht wird, die Königin dann sterbe und die Ameisen dann auch stürben. Einen Angestellte holt ihren halbwüchsigen Sohn, der aus welchen Gründen auch immer mit ihr im Büro ist, und bittet den Kammerjäger, das noch einmal zu erläutern. Ihr Sohn kenne sich gut mit Ameisen aus. Der Sohn scheint irgendwie genervt.

Meine Separatbesprechung ist auch vorbei, ich packe ein und gehe zur S-Bahn. 
 

13 Kommentare:

  1. ... DAS ist aber jetzt traurig, für einen Wochenstart ;( am Montag !

    Warum gehen Ameisen nicht in die Kirche?

    Weil sie in Sekten sind!

    Mal den/die Ameisenbeauftragten/e fragend kontaktiere, ob die nicht eine bedrohte Tierart sind ;))) *augenroll...doah*

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    1. Ameisen hat man aber lieber nicht im Haus.

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    2. - Ameisen mit Hausmitteln bekämpfen:

      Legen Sie Zitronenschalen, Essig oder Zimtpulver vor den Zugängen aus. Durch die intensiven Gerüche werden die Ameisen abgeschreckt ... ;)

      *weisstebescheid...zwinker*


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  2. Wo ist der Ameisenbär, wenn man ihn braucht?

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    1. Das ist eine gute Idee!Nur noch mit Ameisenbär ins Meeting!

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    2. (Als Bonus: der obligatorische "Tier-im-Haus"-Witz:
      "Und der Gestank?" - "Daran wird das Tier sich gewöhnen müssen!")

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  3. Hör mir auf mit Ameisen!! Ich kämpfe auch wieder an allen Fronten.... zum Glück nur kurz, denn ich hab Borax :-)
    Gruß Papierfrau

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    1. Ja, friedliches Zusammenleben funktioniert mit denen nicht...

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  4. Wo wurde die Hängematte erfunden? Am Amazonas. Denn die Ameise ist der gefährlichste Gegner des Menschen - nicht der Jaguar, die Vogelspinne oder der Schnaps. Raubameisenzüge wiegen insgesamt mehr wie ein Elefant - sie töten alles, was ihnen in den Weg kommt.

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    1. Homo homini lupus

      frei übersetzt: Der Mensch ist des Menschen größter Feind

      !!!

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    2. Homo homini ameisus (Sokrates).

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  5. Ich stelle mir die Szene gerade als Schwarzweisscomic vor. Aus Sicht der Ameisen. Die Szene hat Potential.

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    1. Ausnahmsweise habe ich mich nicht getraut, ein Foto zu machen.

      (Jetzt stelle ich mir gerade auch den Comic vor. Das hätte tatsächlich was.)

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