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Mittwoch, 22. November 2017

Im Zug (2)

Ich bin gerade die ganze Zeit unterwegs, aber es findet sich nicht der richtige Stoff für Dienstreiseposts, keine Fotos, keine Begebenheiten. Nur Mitreisende.

Ich bin zu früh am Bahnhof und stelle fest, dass ich eigentlich einen früheren Zug nehmen kann. Mein Ticket ist flexibel. Ich steige ein, der Zug wurde am Ostbahnhof bereitgestellt, so dass am Hauptbahnhof fast alles noch frei ist. Vielleicht die Hälfte der Sitze ist reserviert, also kein Problem, Platz zu finden. Kaum habe ich mich hingesetzt, kommen eine Reihe von jungen Leuten in den Großraumwagen. Sie haben offensichtlich zwei Vierertische reserviert (Berlin - Bad Oeynhausen). Sie tragen alle Trainingsanzugsjacken auf denen "Eastgate Borussen"* steht. In die Gepäckablage wandern Bierkästen und Schnapsflaschen. Der erste Mitreisende steht auf und geht vorsichtshalber einen Waggon weiter. Ich habe nie verstanden, wie man bereits um acht Uhr in der Früh stockbesoffen sein kann, aber es muss gewisse Reize haben. Einer der Borussen sucht den Weg auf die Toilette und rennt deswegen ein bisschen die Gänge auf und ab. Ein anderer probiert aus, ob es im Waggon beim Rülpsen ein Echo gibt. Der Waggon leert sich weiter. Ich bleibe noch, überlege mir, ob es wohl möglich sein wird zu arbeiten, und wünsche mir meine sensible Mitreisende von letzter Woche ins Abteil. Zwei Borussen diskutieren die genaue Mischung einer Bloody Mary, ein anderer sucht den Bierkasten, den er vor fünf Minuten in die Gepäckablage gestellt hat. Auf dem Gang treffen sich mehrere Borussen, die in verschiedene Richtungen ausgeschwärmt sind, um das Klo zu finden. Weitere Reisende wechseln den Waggon. Die Borussen freuen sich über die Bewegung und verdächtigen sich gegenseitig, dass jeweils der Gestank des anderen die Mitreisenden vertreibe. Zwei streiten sich, wer in und wer entgegen der Fahrtrichtung sitzen darf, untermauert mit physikalischen Überlegungen, in welcher Richtung man schneller kotzen müsse. Ich bin jetzt allein mit den Borussen im Waggon. Unerwartet kommt das Gespräch der Borussen auf Politik. Nicht alle der Borussen wussten, dass am Abend die Sondierungen beendet wurden. Einer erklärt laut, dass er es gut finde, dass der Lindner da einfach aufgestanden sei, also er finde das gut, dass der Lindner einfach gegangen sei, irgendwie finde er das gut. 

Ich suche mir einen anderen Waggon.  


*Die hießen etwas anders. Ich habe aber festgestellt, dass die eine eigene Website haben, auf der auch Fotos von ihren Reisen eingestellt werden. 

3 Kommentare:

  1. Das nebulöse/nebeliiische FOTO reisst diesen POST noch raus, ansonsten:

    Es gibt keine Leute, die nichts erleben; es gibt aber Leute, die nichts davon merken.
    - Curt Goetz Zitat -

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