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Samstag, 19. Januar 2019

Hin und zurück

Ein bisschen früher als sonst aufstehen - der Wecker brummt um 5.30 Uhr. Ich habe einen Termin in Diepholz, den ich irgendwann letztes Jahr zugesagt habe. So ganz weiß ich nicht, warum ich da zugesagt habe, will es aber nicht genauer erforschen. Ich habe die Sorge, dass der ausschlaggebende Grund gewesen sein könnte, dass ich irgendwann gelesen habe, dass Horst Evers aus der Nähe von Diepholz kam. Viel Zugfahrt für wenig Action, aber ich habe mein Handy mit genug Podcasts bestückt, dass mir die neun Stunden im Zug nicht langweilig werden dürften. 

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Der Zug ist relativ leer, die Fahrt geht zunächst durch die Dunkelheit. Kurz hinter Ludwigslust bremst der Zug recht abrupt; trotzdem ist der Bremsweg natürlich kilometerlang. Ich habe ein ungutes Gefühl, es kommt eine Durchsage, es habe einen Personenunfall gegeben. Ich denke an den Zugführer und den Menschen, der wohl auf den Gleisen war. Wir bleiben erst einmal stehen, die Sonne geht auf über dem von Raureif bedeckten Wald, die Feuerwehr und Kriminalpolizei kommen. 



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Nach eineinhalb Stunden ist die Unfallstelle geklärt und die Strecke wieder freigegeben, der Zug fährt ein paar Kilometer bis zum nächsten Bahnhof, dort werden die Fahrgäste zu einem anderen Zug geleitet. Die halbe Stunde bis Hamburg stehe ich. Nach Diepholz rechtzeitig zu kommen ist bereits unmöglich, ich kriege die Nachricht, dass die Zeit dort ohne mich für andere Themen genutzt werden konnte. In Hamburg springe ich in den nächsten Zug nach Berlin, nach insgesamt sieben Stunden Rundreise komme ich dann wieder an. Dass ich nicht dort war, wo ich eigentlich sein sollte, hat dann auch nicht gestört. 

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Jeden Tag sterben 2500 Menschen in Deutschland, aus den verschiedensten Gründen. Das Leben geht weiter ohne sie, aber fast jeder Tod bedeutet für einen Nahestehenden, dass alles abrupt zu einem Halt kommt. Wir bemerken es kaum oder nur dann, wenn es uns auch betrifft. Vielleicht ist das auch besser so. Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir häufiger daran erinnert würden, dass der Tod alles zum Halten bringen kann, unabhängig davon, wie die eigenen Pläne waren, welche Fahrkarten man gekauft hat, und wie wichtig man sein mag oder sich halten mag. 

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Auf der Rückfahrt geht es durch die Winterlandschaft. Dort, wo die Sonne hinkam, ist der Raureif schon von Bäumen und Sträuchern verschwunden, aber die Felder sind weiß von Schnee. Teilweise stehen auch die Kühe auf der Weide - ich sehe das immer gerne, früher hatte man die Schumpen, das Jungvieh, das ganze Jahr draußen. 

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Die durch die Umstände geschenkten zusätzlichen drei Stunden am Schreibtisch habe ich nur äußerst ineffizient genutzt.  In der S-Bahn unterhalten sich zwei über den Ort, wo es den besten Döner Deutschlands gebe. Merkwürdigerweise steigen sie in der Wollankstraße aus.

5 Kommentare:

  1. DANKE ...
    für die - tiefsinnige - FRÜHSTÜCKS-L E K T Ü R E ;)

    Januar

    Das weite todesmüde Schweigen;
    Die kalte Klarheit in der Luft;
    Die Bäume mit den kahlen Zweigen;
    Auf frischem Schnee ein blauer Duft;

    — Und drunter all das junge Leben,
    Um dessen still verborgnes Sein
    Schon ahnungsvolle Träume schweben
    Von einer Welt im Sonnenschein.

    Emil Besser *♥WE-GRUß dazustell*

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  2. Was für ein furchtbares Erlebnis. Das würde mich auch ganz schön beschäftigen. Mir tun auch immer die Lokführer leid, die mit diesem Trauma weiter leben müssen und ihren Beruf weiter ausüben müssen. Manche können es nie wieder.
    Und natürlich betrifft es immer auch die Angehörigen. Sowohl die Angehörigen des Lokführers als auch die Angehörigen des Toten.

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    1. Ja, der Lokführer wurde dann auch gleich abgelöst, das muss furchtbar sein.

      Man kann froh sein, in einem Beruf zu arbeiten, in dem es kaum wahrscheinlich ist, dass man irgendwann die Ursache für den Tod eines anderen Menschen setzt.

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