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Freitag, 27. März 2020

Fester Boden

Merkwürdige Zeiten. Bei Geschichten und Meer den schönen Satz gelesen: Man müsste ihn hassen, den Frühling, wäre da nicht das Gefühl der Hoffnung, das er trotz allem vermittelt. Viel mehr habe ich gerade eigentlich auch nicht zu sagen, aber das ist halt nicht Bloggen, wenn man nur Lieblingszitate aufschreibt.

Bei einer Wohnungsbesichtigung vor vielen Jahren sind Frau Ackerbau und ich über Dachbalken balanciert, weil das Dachgeschoß ausgebaut werden sollte, aber noch nicht wahr. Eine Erkenntnis, die ich daraus gewonnen habe, ist, dass natürlich alles in der Fantasie schöner aussieht als in Wirklichkeit (ein Grund, warum ich unfertige Skizzen immer lieber mag als perfekt ausgearbeitete Werke). Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich oft an dieses Dachbalkenbalancieren zurückgedacht habe: Im Leben hat man oft oder meistens das Gefühl, dass man sich auf relativ solidem Grund bewegt. Dann passiert irgendetwas und man sieht für einen kurzen Augenblick die Wirklichkeit: Der feste Boden ist gar nicht da, man balanciert über dünne Balken und kann tief nach unten sehen, in den Abgrund, in den man fiele bei einem falschen Schritt. Wie man mit dieser Erkenntnis umgeht, ist wohl ganz unterschiedlich, bei den meisten schließt sich der Abgrund relativ schnell, nur manchmal kribbelt es im Fuß bei einem Schritt, weil einem plötzlich wieder einfällt, wie schmal der Grat ist. 

Dashiell Hammett beschreibt ein recht ähnliches Phänomen in einer kurzen Anekdote im Malteser Falken, die, wie ich inzwischen gelernt habe, als die Flitcraft-Parabel in der Literaturgeschichte herumgeistert. Gut sortiert wie ich bin habe ich natürlich den Malteser Falken im Regal stehen, brauchte aber einige Zeit, um die Stelle wieder zu finden (Altersweitsicht ist auch nicht bei allem hilfreich; Altersweisheit lässt auf sich warten). Im Netz gibt es die ganze Geschichte zumindest auf Englisch. Im Malteser Falken erzählt Sam Spade seiner Mandantin die Geschichte eines Mannes, eines Grundstücksmaklers, der von einem auf den anderen Tag verschwunden war ("Er veschwand einfach", sagte Spade, "wie eine Faust, wenn man die Hand aufmacht."). Spade fand ihn nach einiger Zeit in einer anderen Stadt, unter anderem Namen, mit neuer Familie, mit einem Automobilgeschäft. Flitcraft erzählte, dass er eines Tages an einem Neubau vorbeiging, von dem ein Balken herunterfiel, der neben ihm auf dem Pflaster einschlug. Er selbst hatte nur eine kleine Verletzung an der Narbe, aber "ihm war, als hätte jemand den Deckel vom Leben abgehoben und ließe ihn einen Blick ins Getriebe tun." Er fühlt, dass der einzige Weg, wie er mit der Tatsache fertig werden kann, dass ein blinder Zufall sein Leben zerstören kann, ist, selbst sein Leben abrupt zu ändern. Er verlässt sein altes Leben und seine Familie und beginnt ein neues, anderswo. Aber Hammett setzt noch eine vergiftete Pointe, Flitcrafts neues Leben ist eigentlich nicht viel anders als sein altes. "Ich glaube, ihm kam überhaupt nicht zum Bewußtsein, dass er wie selbstverständlich in dasselbe alte Geleise geraten war, das er in Tacoma so fluchtartig verlassen hatte. Doch das hat mir an der ganzen Sache immer besonders gut gefallen. Erst stellte er sich auf herabstürzende Balken ein, dann stürzten keine mehr herab, und prompt stellte er sich darauf wieder ein." (Deutsche Zitate aus der Übersetzung von Peter Naujack.)

(Vielleicht sollten wir diesen Blogpost in ein, zwei Jahren noch einmal lesen.)

13 Kommentare:

  1. Damit ist Flitcraft zum Balken seiner Familie geworden. Hätte auch nicht sein müssen. Aber manchmal steckt man eben nicht drin. (Muss mir unbedingt mal Hammett besorgen!)

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    1. Ich habe beim Buch heraussuchen an Sie gedacht! Mit Roter Ernte, Der gläserne Schlüssel oder eben dem Falken macht man nichts verkehrt.

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    2. Hui, Sie waren das! Danke für die Tipps!

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  2. ja. so isses. und trotzdem trägt uns die erde ein leben lang. keinen tag mehr. keinen tag weniger.

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  3. Mir fiel ein Zitat aus einem Gedicht von Hilde Domin ein (Nur eine Rose als Stütze): „Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug.“
    Vertrauen als Grundlage können wir brauchen. Und in "alte Gleise" geraten wir schnell, wenn Angst kommt, Unaufmerksamkeit, Faulheit(?)... Wir als Gesellschaft sollten darauf achten, dass es nicht passiert, wenn diese Krise zu etwas nutzen sollte.

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    1. Fund im Schweizer Blog:
      Sie hat einige wilde Stunts auf der Schaukel ausprobiert. Plötzlich macht sie einen Salto kopfüber und knallt auf den harten Boden. Einen atemlosen Moment liegt sie da und schaut in den Himmel.
      „Hast du dir weh getan?“, rufe ich erschrocken.

      Sie springt auf und schüttelt sich. „Nein“, sagt sie. „Die Erde hat mich aufgefangen.“ (aus dem Blog von Annette Weber)

      So geborgen ist wundervoll! Denke ich den ganzen Tag dran.

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  4. Auch fester Boden kann trügerisch sein.
    Wenn man es nicht gewohnt ist und längere Zeit auf einem Boot verbracht hat, schwankt bei den meisten Menschen der feste Boden, wenn es wieder an Land geht.
    Und die Moral von der Geschicht,
    kenne ich auch nicht.

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