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Donnerstag, 15. November 2018

Hin und zurück

Lange nichts mehr über meine Reisen geschrieben, obwohl ich viel unterwegs war im letzten halben Jahr. Wer hier schon ein bisschen länger mitliest, weiss, dass ich die Stadt und die Umgebung wie einen Rorschach-Test ansehe. Was ich beschreibe, hat immer mehr mit mir zu tun, als mit dem, was ich sehe. Jahrelang sah ich merkwürdige und drollige Sachen, einige Monate gar nichts mehr, oder zumindest nichts mehr, was ich sehen wollte. So langsam spricht die Umgebung wieder zu mir, was ich höre, ist aber nicht sonderlich drollig. Aber was soll's, fangen wir mal wieder an.

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Beruflich muss ich mich immer mehr mit digitalem Kram auseinandersetzen, obwohl ich keine rechte Lust dazu habe. Da ich noch mindestens siebzehn Jahre Geld verdienen muss, kann ich den ganzen Kram aber nicht ignorieren. So habe ich in den letzten Monaten einige Zeit damit verbracht, mit mehr oder weniger guten Häppchen in der Hand irgendwelchen Leuten, die irgendetwas über die digitale Zukunft erzählen, zuzuhören. Bei einem Vortrag einer Vorständin eines großen Unternehmens zur künstlichen Intelligenz (im Allgäu hem mr ÄiEi dazu gseit), hörte ich einen interessanten Satz, bei dem ich zunächst dachte, ich hätte mich verhört, aber mein Nachbar bestätigte dann mein Verständnis. Die Rednerin hatte gesagt: "Über Immortality will ich ja hier gar nicht reden." Immortality. Unsterblichkeit. Das nächste Ding nach der künstlichen Intelligenz. Die Unsterblichkeit gibt es dann aber nur für Leute wie Peter Thiel oder Elon Musk, die sich Blut junger Menschen übertragen lassen oder ihr Gedächtnis auf einen Computer überspielen. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich eine Zukunft, in der alle Science-Fiction-B-Movies Wirklichkeit werden, noch erleben will. 

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Bei einer dieser Veranstaltungen sah ich im Publikum eine unscheinbare Frau mit Kurzhaarfrisur, die mir merkwürdig bekannt vorkam. Nach kurzer Überlegung kam ich darauf, dass es sich um Frauke P. handelte. Noch vor einem Jahr war sie quasi ein Pin-Up der Rechtsradikalen, von den Nazis als nächste Kanzlerin gehandelt, inzwischen ist sie praktisch vergessen und freut sich wohl, dass sie noch zu parlamentarischen Frühstücken eingeladen wird, bei denen es nette Häppchen gibt. Ich hatte ja letztes Jahr gedacht, dass es den Rechtsradikalen schaden würde, dass ihre Gallionsfigur abhanden gekommen ist. Aber diese Rechtsradikalenbewegung ist unabhängig von Köpfen, sie braucht keine Anführer. Sie ist nicht wie Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf ein neuer nachwächst. Sie braucht keinen Kopf. Es ist eine amorphe Masse, die sich aus Wut und Neid speist. Sie braucht keine Vordenker, es genügt, dass irgendjemand den Wut schürt, das sagt, was jeder, der zu dieser Gruppe gehört, sagen könnte, das sagt, was die Wut aufrecht erhält. Zufällig gibt es immer wieder Anführer, Lucke, Bachmann, Petry, Gauland, Weidel, aber letztlich ist es egal. Punkrock hat versucht, die Distanz zwischen Bühne und Publikum aufzuheben, der neue Rechtsradikalismus hat es geschafft: Die, die auf der Bühne stehen, sagen nur, was auch jeder im Publikum sagen könnte. Sie sind beliebig, können abgelöst werden, werden abgelöst, aber es bleibt auch egal, was sie machen, was sie nicht machen: wichtig ist es nur die Wut weiter zu schüren. Man muss sich wohl damit abfinden, dass 15 % der Bevölkerung so funktionieren; wahrscheinlich muss man sich darüber aber keine größeren Sorgen machen, das ist blubbernder Morast, der sich gegenseitig zuruft, was jeder schon vorher weiß, unfähig etwas zum Schlechten oder zum Guten zu ändern. Sorgen machen muss einem, wie ein harter Kern versucht, rechtsradikale und paramilitärische Strukturen zu verfestigen. Und Sorgen muss einem machen, wie diese pulsierende Masse von Wut und Missgunst beginnt, die ganze Gesellschaft zu kontaminieren. Und man muss aufpassen, dass diese Mischung aus Zynismus und Häme nicht einen selbst erreicht. Unabhängig von der politischen Orientierung ist das eine Einstellung, die einen kaputt macht.

Aber wir sind immer noch mehr und wenn wir uns nicht von diesen Menschen herunterziehen lassen, haben die Rechten keine Chance. Es war ein gutes Gefühl, nach der Unteilbar-Demo zu merken, wie die ganzen Rechts-Umstürzler plötzlich in der Defensive waren.

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Eigentlich möchte man auf Reisen erkennen, wo man ist und wo es hin geht. Aber manchmal bleibt die Aussicht verschwommen.

10 Kommentare:

  1. Sie wieder zu lesen ist so wohltuend wie das Gefühl auf der Unteilbar-Demo. Es gibt sie, die Guten und sie müssen sprechen, um gehört zu werden.

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    1. Danke für Ihre Geduld. Also versuchen wir, gut zu sein und zu sprechen. Da wäre schon einiges erreicht.

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  2. https://youtu.be/OSbCFQ7Vb30

    Können wir uns denn auf morgen freuen?

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    1. Ausnahmsweise finde ich die Brieftauben ok....

      Vielleicht muss man sich vor morgen fürchten?

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    2. Vor einem Post aus dem Hause Ackerbau muß man sich doch nicht fürchten. Oder?

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    3. Vielleicht wird das hier ja alles gruselig....

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  3. Gut, dass Du auch hier wieder da bist. Ein nachdenklicher Artikel. Politisch habe ich in der letzten Zeit eher negative Erfahrungen gemacht, es ist erschreckend, wie viele Menschen im Tierschutz irgendwie mehr oder weniger mit der AfD sympathisieren. Da denkt man, toll, was Derjenige für Tiere tut, auch für Menschen, wenn es einer Tierschützerin schlecht geht, sofort mit Unterstützung da. Guckt man aufs Profil, 4 AfD-Seiten und eine "Merkel muss weg"-Seite geliket, und ähnliche Erfahrungen. Das schmerzt richtig, das geht mir nah.

    Und dann hat man noch die Menschen, die schon immer auf die da oben geschimpft haben, früher hat das nix gemacht, haben dann trotzdem CDU gewählt oder sind nicht zur Wahl gegangen. Heute: "Schöne neue Heimat" AfD. Oder, nicht ganz so extrem, Hurra, der Merz ist da. Ohne überhaupt zu wissen, wofür der Merz politisch steht. Wenn ich das dann mal erzähle, werden die Augen groß... Und sie bleiben vermutlich trotzdem Merz-Sympathisanten, denn der findet ja die ungeliebte Merkel doof. (Fürs Protokoll, ich bin auch kein Merkelfan, aber dieses substanzlose Merkel-muss-Weg-Geplärre ist kaum auszuhalten.)

    Noch sind wir wohl mehr. Es tut gut, dann solche klugen Artikel wie hier zu lesen.

    Liebe Grüße
    Katrin

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    1. Es gibt auch gewisse Überschneidungen von Gemüsegärtnern und Reichsbürgern, man findet da einiges merkwürdiges. Ich bin nicht bei Facebook unterwegs, deswegen bleibt mir wohl viel von diesen Dingen erspart (wahrscheinlich würde mich das auch nur unendlich müde und traurig machen).
      Spannend wird es, wenn ein neues Aufreger-Thema gefunden wird (derzeit arbeiten sich die Rechten wohl hauptsächlich an Fahrverboten ab, das ist ja nicht ganz der Bringer....).

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