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Sonntag, 30. Dezember 2018

Hin und zurück


Im letzten Jahr musste ich häufig aus verschiedenen, nicht immer angenehmen Gründen nach Süddeutschland. Inzwischen ist die Bahn wirklich die beste Wahl für die Strecke. Diesmal geht es ins Allgäu für ein Klassentreffen. Dreißig Jahre ist es her, die Mauer stand damals noch. Die Hinfahrt vertreibe ich mir mit einem Computerspiel, das mir meine Söhne geschenkt haben. Vor zwanzig Jahren habe ich tatsächlich ab und zu Computerspiele gespielt, bevorzugt von der Sorte: „Du musst den Petersilienstrauß der Bibliothekarin geben, sie gibt dir dafür ein Buch, in dem ein Foto liegt, das dir den Ort zeigt, wo der Schlüssel versteckt ist, den du für das Schloss brauchst, dass dir der Gastwirt zeigt, wenn du ihm den Kübel Senf bringst, den du vom Polizisten im Tausch gegen…..usw.“ Das hat mir immer Spaß gemacht, leider habe ich nur nicht ausreichend Zeit und ich bin auch furchtbar schlecht bei der Steuerung, brauche furchtbar lange für alles. So verbringe ich meine Zeit damit, als Privatermittler durch eine Hafenstadt zu torkeln und zu versuchen, an den zwei Schmugglern vorbei in ein Lagerhaus zu kommen. Das gelingt mir irgendwann auch, bei dem Tempo werde ich aber noch einige Zeit brauchen, um das furchtbare Geheimnis zu enträtseln. Für längere Zugfahrten aber durchaus geeignet.


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Das Wetter meint es gut und es ist noch Zeit für einen Spaziergang auf die Felder vor dem Ort. Es herrscht leichter Föhn, also sieht man die Berge in der Ferne.





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Auch nach dreißig Jahren haben sich viele nicht sonderlich verändert. Da haben sich alle Mühe gegeben, gearbeitet, Kinder bekommen oder gezeugt, aber letztlich ist es die Ansammlung der gleichen Kasperles wie drei Jahrzehnte vorher. Ich stelle begeistert fest, dass viele meiner ehemaligen Schulkollegen eigentlich keine Ahnung haben, was ich arbeite und überzeugt sind, ich stünde in irgendeiner Weise im Staatsdienst. Ein paar unterhalten sich über irgendwelche Softwareprojekte, einer hält Vorlesungen über Tierfutter; den Unterhaltungen über die Kamelzucht versuche ich auszuweichen. Der frühere ökologisch Linksradikale unseres Jahrgangs, der nicht gekommen ist, sitzt jetzt für die AfD im Münchner Stadtrat.




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Kondolieren für Fortgeschrittene:

„Hey A., wie heißt denn dein Bruder?“

„Michael.“

„Gibt’s den noch?“

„Er ist dieses Jahr gestorben.“

„Hab ich mir gedacht, stand in der Zeitung.... Hmm. Das war jetzt blöd, oder?“


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P. und L., die ich nach viel zu langer Pause einmal wieder treffe, haben ganz vergessen, dass wir 1993 noch ein paar Lieder aufgenommen haben, bevor wir dann – aus Gründen, die keiner mehr so richtig weiß – nie mehr zusammengespielt haben. Ich habe aber zumindest ein paar USB-Sticks mitgebracht, so dass sie ihre Erinnerung auffrischen können (Cassetten haben ja alle noch, aber nur wenige können sie noch abspielen). P. und ich können uns auch nicht erklären, warum ich lauter Fotos von ihm im Sessellift habe, weil wir ja eigentlich noch nie zusammen beim Skifahren waren. Zwischen P. und mir war über ein Jahrzehnt Funkstille, aber da wir uns beide nicht mehr erinnern, was eigentlich der Grund war und warum wir vorher beleidigt waren, passt das jetzt wieder. Das macht mich sehr froh. 

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L., der eigentlich A. heißt, aber nur L. genannt wurde, weil ja sein Vater L. hieß, kann mir nicht erklären, warum jetzt nicht sein Sohn – wie es logisch wäre – nach ihm A. genannt wird.  (Klassentreffen werden nicht einfacher, wenn man früher - aus welchen Gründen auch immer - eigentlich niemand mit seinem richtigen Vornamen angesprochen hat.) R. kann sich erst nicht erinnern, dass wir Ende der Achtziger mit dem Auto seiner Eltern im Italienurlaub waren. Nach kurzem Nachdenken sagt er allerdings wütend: Genau, ihr habt ja die Milch auf den Rücksitz geschüttet! Die Urlaubsfreuden waren offenbar nicht so nachhaltig, wie die Begrüßung, die er dann von seinen Eltern daheim bekam.


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Ich lasse mir von einem Mitschüler sein neues Tattoo erklären, da es aber schon nach zwei Uhr nachts ist, bleibt trotzdem einiges im Dunkeln. Kurz bevor sich die Runde auflöst verteidige ich zu meinem eigenen Erstaunen das Berliner Schulsystem. Ich kann, glaube ich, einen Teil der Zuhörerschaft überzeugen, dass man in Berlin auch unbewaffnet in die Schule gehen kann, mein Hinweis, dass ggf. Berliner Schüler tatsächlich auch so viel oder vielleicht noch mehr lernen als bayrische Schüler, wird dann aber als zu unglaubwürdig abgetan.

6 Kommentare:

  1. "Leisure Suit Larry in the Land of the Lounge Lizards" war das Spiel, das mich 1987 von der Playstation zu meinem ersten Computer gelockt hat. Wochenlang haben wir gespielt, bis wir endlich fast alle Rätsel gelöst hatten.

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    1. Ich hatte erst 1997 meinen ersten Computer, war also spät dran.

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  2. Oh ja, Klasssentreffen. Leider werde ich nicht mehr eingeladen. Wegen fortgesetzten Nichtkommens. Zu wenig Distanz, zu wenig Humor. Mittlerweile würde ich hingehen ( 45 Jahre ist die Schulentlassung her !) aber... siehe oben . Hin und Zurück, ein guter Titel. LG und ein fröhliches Sylvester Gitta

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    1. Es ist immer ein bisschen zwiespältig. Aber alle fünf Jahre kann man das machen.

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  3. Gerade der Vortrag über Kamelzucht hätte mich brennend interessiert.

    Wenn ich das so lese, dann bedaure ich beinahe, nie den Einladungen zum Abitreffen nachgekommen zu sein. Inzwischen wurde das ganz eingestellt oder mich kontaktiert niemand mehr.

    Grüßen Sie die Berge!

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    1. Das hätte ja bedeutet, dass ich mich mit D. (der eigentlich W. heißt) unterhalten hätte müssen! Das kann einen in den Wahnsinn schubsen. Die Gründe, warum er vom Vertrieb von Silikonzubehör für Melkmaschinen auf Dromedar/Kamel-Zucht (die Quellenlage war uneindeutig) umgestiegen ist, bleiben deswegen im Dunkeln.

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