Everybody's fucked in their own special way

Dienstag, 30. Mai 2017

Verirrte Seelen unterwegs (6)

So ganz stimmt es nicht, dass sich in Karrousades in den letzten dreißig Jahren nichts verändert hätte: Früher sah man immer noch ältere Leute auf dem Esel durch's Dorf reiten, diese Zeiten scheinen jetzt endgültig vorbei.

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Nach zwei Tagen ist es wieder Zeit für den Abschied; weiter nach Korfu-Stadt. Wir quartieren uns am Hafen ein, in einem richtigen Hotel. Früher gab es zwei, das Hotel Ionian und das Hotel Atlantis. Merkwürdigerweise ist das Atlantis nicht untergegangen, während das Ionian seit Jahren leersteht. Die Vorsaison-Preise sind aber immer noch sehr moderat und man kann vom Balkon aus den Fährhafen sehen. 

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In der Stadt merkt man, dass langsam die Saison beginnt, einige Touristen unterwegs. Wie jedes Mal verirre ich mich in den engen venezianischen Gassen. Ich kann mit Architektur nicht allzuviel anfangen, aber ich mag die leicht runtergekommenen Fassaden. 

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Wir setzen uns in eine Gasse zum Abendessen. Zunächst stehen da nur ein paar Tische, die Kellner holen dann nach und nach neue Tische und Stühle, wenn neue Gäste kommen. Das Essen ist, verglichen mit dem was wir anderswo auf der Insel bekommen haben, eher enttäuschend. Allerdings probt neben dem Lokal ein Orchester, das in kurzer Folge immer wieder 30 Sekunden eines Stücks spielt, was einen gewissen surrealen Reiz besitzt. Und mit einem Mal ist die Luft von Bewegung erfüllt und man hört kleine kurze Schreie. Über uns kurven hunderte von Mauerseglern, die mal hoch, mal tief durch die Gassen fliegen. Wahrscheinlich sind es keine Mauersegler, sondern eine andere Seglerart, es ist aus der Entfernung nicht genau zu erkennen. Ich sitze da mit dem Kopf im Nacken und sehe mir dieses unglaubliche Durcheinander der schwirrenden Tiere an, das Auf und Ab und Hin und Her. Anders als die Schwalben setzen die Segler nicht ab, sondern sind immer in Bewegung, verschwinden wieder in die Höhe, kommen zurück in die Gasse. 

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Wir beschließen, uns noch vors Hotel an den Hafen zu setzen. Wir bestellen uns Bier, hinter uns sitzt eine große deutsche Reisegruppe, von einem Hotelbalkon singen ein paar Italiener laut Heavy-Balladen mit. Einer der Deutschen hört sich genauso an wie Wilfried Kretschmann, ich stelle mir vor, dass er dort mit seinem Baden-Württemberger Kabinett herumsitzt. Da ich angestrengt auf den Hafen sehe, kriege ich aber nicht mit, wie er tatsächlich aussieht. Die hotelangestellte Bedienung versorgt uns mit Bier und Nüssen. Sie fragt uns, ob wir Brüder seien, was wir bejahen müssen, und vermutet dann, wir seien Zwillinge, weil wir uns so ähnlich sähen. Jetzt sind wir beide aus ganz unterschiedlichen Gründen beleidigt. 

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Den Kreisverkehr am Hafen kommen die unterschiedlichsten Wagen entlang, irgendwann kommen die Hotelbusse, die die ganzen Touristen vom Stadtausflug wieder in die Hotels bringen. Weil die Nacht so angenehm ist, die Hotelbar nicht zumacht, und wir ja am nächsten Tag wieder fahren müssen, bleiben wir immer noch ein bisschen sitzen. Kretschmann und seine Gang verschwinden irgendwann, nach noch einem Bier und einem Schälchen Nüsse zahlen wir dann auch. Die Bedienung ist vergnügt, sie erzählt, dass die deutsche Gruppe darauf bestanden habe, separat zu zahlen, damit habe sie insgesamt ordentlich Trinkgeld bekommen. Wir wünschen gute Nacht. 

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Am nächsten Tag im Flughafen wieder Anstehen zwischen Rentnern, mit Genörgel und Vordrängeln. Ein Typ neben mir, der die ganze Zeit quasselt, erklärt seinen Freunden, dass er im Flugzeug dreierlei Leute unterscheidet: Die, die andauernd quasseln, die, die andauernd nörgeln, sowie die, die immer rumlaufen. Er selbst gehört mindestens in zwei dieser Kategorien. 

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Die kroatische Küste von oben sieht so aus, als hätte Gott Laubsägen geübt. 

(Die Landgestaltung ist auch eher seltsam:)



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Berlin ist so freundlich, mich mit ähnlichen Temperaturen wie Korfu zu empfangen. Es ist das Wochenende des Kirchentags, um im kurzzeitig protestantischen Berlin Akzente zu setzen, bringe ich eine Ikone von Johannes dem Täufer mit (oder wer sonst noch einen zweiten Kopf auf einem Tablett mit sich trägt).


(Damit endet der Versuch des Reise-Tagebuchbloggens: Herr Ackerbau fährt nach Griechenland, um Farbe beim Trocknen zu beobachten, schreibt darüber, wie Farbe trocknet, und weist darauf hin, dass er schon vor dreißig Jahren Farbe beim Trocknen beobachtet hat.  Ich danke allen, die es bis hier her ausgehalten haben. Morgen geht es wie gewohnt weiter, also auch nicht sonderlich spannender.)

11 Kommentare:

  1. Danke für deinen Reisebericht. Fand es interessant, deine Perspektiven zu sehen.

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  2. Die Glücklichen sind neugierig.

    Friedrich Wilhelm Nietzsche

    ... die einen beim Reisen,
    die anderen beim Bloglesen
    und ein bischen Dabei sein dürfen (ړײ)

    *♥DANKEschön...undAUFaufNEUGIERIGindenALLTAGSwahnSINN...hehe*

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    1. ...aber sind die Neugierigen auch glücklich?

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    2. DAS meint jedenfalls -> der Herr Nietzsche ;)))

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  3. Wieder war es das Entdecken fremder Gegenden mit ganz individuellem Blick- sehr spannend. Eine Zeitreise, bei der ich Lust auf ähnliche in andere Gegenden bekam. Verblüfft hat mich die Ikone- selbst gemalt? (und der Hufeisenrahmen darum)
    Farbe beim Trocknen zu beobachten ist eine Tätigkeit, die man in Berlin als Meditativen Kurs anblieten könnte.

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    1. Die Ikone ist aus dem Duty-Free-Shop des Flughafens. Einen Spiros hatte ich schon, deswegen musste ich nach einem anderen Heiligen Ausschau halten, Andreas hatten sie leider nicht.
      Inhaltlich präziser wäre "Farbe beim Abblättern zuzusehen", aber ich dachte, man darf die Klischees nicht zu sehr verändern.

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  4. Also ich fand deinen "Versuch des Reise-Tagebuchbloggens" absolut spannend und gelungen! Du hast den richtigen Blick, um mal 'hinter' die abbröckelnden Fassaden zu schauen!
    :-)

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    1. Das Ganze auf dem Handy zu tippen führt aber zu erschreckend vielen Rechtschreibfehlern....

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  5. Auch aus dieser Klause herzlichen Dank! Und bitte mehr davon.

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    1. Weiß nicht, ob der griechische Fremdenverkehrsverband noch mehr in Auftrag gibt..

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