Everybody's fucked in their own special way

Mittwoch, 27. November 2019

Nebel

Der Zug geht vom Gesundbrunnen. Das ist schön, weil ich etwa eine halbe Stunde später aus dem Haus gehen kann als wenn ich zum Hauptbahnhof müsste. Es ist zwar schon nach sieben, aber es ist immer noch dunkel. 

Der Zug ist voll. Neben mir sitzt ein junger Mann, der ein Laptop aufklappt, Couscous-Salat isst und mit Kopfhörern amerikanische Serien sieht. Ich erkenne keine Schauspieler, wende meinen Kopf dann auch zum Fenster, da ich nichts so rätselhaft finde wie Filme zu sehen ohne Ton. In meinem Jugendzimmer habe ich das meistens gemacht, Fernsehen ohne Ton, Musik an, ein Buch in der Hand und die Gitarre auf dem Knie. Ich versuchte zu verstehen, worum es in den Filmen gehen könnte, in welcher Beziehung die Personen zu einander standen, meistens passte meine Vermutung nicht so recht zu dem weiteren Verlauf der Handlung. Ich habe keine rechte Ahnung, warum ich das damals gemacht habe, wahrscheinlich erschien es mir noch als Verschwendung von Lebenszeit, Stunden mit einem Film zu verbringen, wenn man doch noch so viel anderes machen hätte können.

Durch das Fenster sehe ich die Landschaft zwischen Berlin und Wolfsburg, viel ist nicht zu sehen, es nebelt gewaltig. Durch den Nebel immer wieder kahle Bäume, Strommasten, Schuppen, einmal Kühe, ein paar Mal Schafe. In den Feldern manchmal auch noch andere Tiere, ich sehe oder glaube zu sehen, dass Rehe herumstreifen und dass ein Fuchs zu dem Zug und mir hinübersieht. 

In Wolfsburg steigt mein Nachbar aus. Es kommt der nächste junge Mann. Er sagt kein Wort, legt seinen Rucksack auf den Platz neben mir, setzt sich dann die Kopfhörer auf und schaut sich auf dem Laptop zunächst etwas an, was wie ein Tatort aussieht, danach eine längere Aufführung modernen Tanztheaters. Vor dem Fenster immer noch Nebel, aber die Landschaft wird langweiliger, man bewegt sich mehr an Straßen entlang. 

Ankunft in Bochum. Ein Teil der Reisegruppe ist architektonisch enttäuscht, ich finde, es sieht halt so aus wie es in solchen Städten aussieht. Könnte auch irgendwo in West-Berlin sein. Ein junger Mitreisender hat zur Vorbereitung im Zug das Grönemeyer-Album angehört. Leute gibt's.

Tagsüber passieren einige Dinge, über die ich mich eigentlich ärgern müsste, über die ich mich aber nicht ärgern will. Das gelingt mir auch ausnehmend gut, würde gerne wissen, woran es lag.

Am Abend schaue ich aus dem Fenster. 

Beim Frühstück höre ich über jemanden, den ich nur wenig geschätzt habe, eine Geschichte, die mich ihn noch weniger schätzen lässt. Immerhin ist sie sehr amüsant.  

Für die Rückfahrt gibt es einen ICE, der so staubig ist, dass man kaum aus den Fenstern sehen kann. Diesmal sitze ich alleine, ein paar Sitze weiter eine holländische Großfamilie, bei der immer abwechselnd eines der drei Kinder weint. Ich denke an die Zeiten zurück, zu denen ich auch noch am Weinen eines Kindes genau erkennen konnte, was das Problem war. Pünktliche Ankunft am Gesundbrunnen. 

Zum Abendessen zuhause.

6 Kommentare:

  1. Das Warten hat sich gelohnt ... Frühstückslektüre ... nebulös und nach meinem Geschmackt ... DANKE ♥ ( Anke, ach nein ) Andreas (ړײ)

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  2. Hab auch gerne mitgelesen.
    Merci und schöne Grüsse,
    Brigitte

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  3. Endlich wieder ein Reisebericht, spannend. Wäre vielleicht noch spannender, wenn die jungen Männer nicht alle Ohrstöpsel hätten. Wie gut, dass Du Dich nicht geärgert hast und beim Frühstück noch eine amüsante Geschichte hören konntest.
    Aber beim nächsten Mal bitte ein Tuch mitnehmen, um den ICE abzustauben, jede Hand zählt um das DB-Image zu polieren!

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