Everybody's fucked in their own special way

Samstag, 16. Mai 2020

Besuch im Nebenzimmer (31)

Schon wieder ein halbes Jahr vorbei, ohne dass ich hier einen Überblick über den Inhalt des Zweitblogs gegeben habe? Die Zeit vergeht gerade schnell. Was war so los im Nebenzimmer?


Es beginnt mit einer Zeitreise zurück zur Zeit des Mauerfalls. Leider muss ich sagen, dass ich das damals überhaupt nicht richtig mitbekommen bzw. verstanden habe und mich mehr um die murkelige Punkszene in unserem Kaff gekümmert habe.. Ich war halt ein Hinterwäldler. "Was immer in der DDR passierte, ich hatte andere Probleme. Wir saßen damals im Voralpenland und dachten, das habe mit uns alles nichts zu tun." Vielleicht bin ich ja inzwischen schlauer. Eine weitere Zeitreise, aber eine zu den Liedern, die ich damals im Radio gehört habe. Nach jahrzehntelangen Suchen bin ich wieder auf die Golden Palominos gestoßen, klingt immer noch wie ein Outtake aus einem frühen Lennon-Album. Danach eine der großen Neuentdeckungen der letzten sechs Monaten: Josienne Clarke, eine englische Folksängerin, die eine wirklich großartige LP aufgenommen hat und die bei uns im Hause viel und gerne gehört wird. Frau Clarke hat die Schnauze voll von der Musikindustrie und macht jetzt nur noch, was ihr gefällt. Und mir gefällt das sehr gut. 

Ein Livebericht, über zwei Bands, die ich sehr schätze, aber jeweils zum ersten Mal gesehen habe. Die Ruts und die Stranglers, alle nicht mehr ganz jung. Dave Greenland, der Keyboarder der Stranglers, ist vor zwei Wochen an Corona gestorben, Zeilen wie die folgenden können also nicht mehr geschrieben werden: "Irgendwann öffnet sich vor uns etwas das Publikum, ich gehe näher zur Bühne, bei dem furchtbaren Walk on by stürze ich mich dann auch in die Hopsermenge, die eine Mischung aus alten Herren und jungen Frauen ist. Mit Walk on by schließt sich ein Kreis des Karmas, vor ein paar Jahrzehnten bin ich mal im Jugendzentrum zum Diensthabenden gegangen, als Walk on by lief, und fragte ihn, ob er den Scheiß nicht ausmachen könne, das Keyboardgedudel sei ja nicht zu ertragen. Ist es auch jetzt noch nicht, ich nahm es aber mal als Buße, der Keyboarder, der früher Prinz-Eisenherz-Frisur und Schnauzbart hatte, sieht jetzt aus wie eine Idealbesetzung für Ebenezer McScrooge." RIP, Dave, die Stranglers ohne dich wären nicht die gleichen gewesen. Noch ein Konzert, mal wieder die Liga der gewöhnlichen Gentlemen. Ob man im Dezember wieder auf Konzerte gehen kann, wenn sie normalerweise ihre Berliner Runden drehen? Ich fürchte ja, eher nicht. Der letzte Konzertbericht, wohl für lange Zeit, ist dann über Art Brut. "Das Publikum war international, die meisten hatten Art Brut wohl in ihren Hochzeiten 2005 schon gesehen und gehört und kamen, um noch einmal an ihre Jugend erinnert zu werden. Ich war also einer der deutlich Älteren im Publikum, für mich sind Art  Brut auch weniger nostalgisch (immerhin haben sie aber den Soundtrack für meine letzte Kündigung geliefert), sondern sie waren 2009 eine Band, die mich wieder dazu gebracht hat, mich für kontemporäre Musik zu interessieren." Aber: Popular culture no longer applies to me. 

Ohne Griechen und Griechinnen geht es hier ja nicht allzu lange; auch hier habe ich ein Lied ausgegraben, das ich in den 80ern einmal gehört habe. "Ich brenne, ich brenne, lösche den Brand mit Öl; Ich ertrinke, ich ertrinke, wirf mich in das tiefste Meer." 

Ein sehr sentimentaler Post: Über das Osterwochenende organisierten Life is a minestrone ein Festival der Beatles-Covers. "Ich habe mir das alles angesehen, mit wachsender Rührung. Zum einen, weil man den Leuten in die Wohnung sehen konnte, jeder auf sich geworfen, aber verbunden durch einen Kanon an Liedern, der für jede Gemütslage einen Ausdruck findet.  Die Isolation überwunden durch die Musik." Meine Lieblingslieder sind in dem Beitrag verlinkt, es lohnt sich auf jeden Fall, sich das anzusehen. Am Schluss  kann man (wenn man denn mag) auch sehen und hören, wie ich unter dem Kirschbaum auch ein kleines Beatlesstückchen spiele. 

Kurz vor Schluss noch eine Neuentdeckung, Mr. Alec Bowman, ein englischer Folkmusiker, der beim ersten Hören vielleicht an Leonard Cohen erinnert. Die LP ist noch nicht allzu alt, aber schon oft gehört. Ein schönes Quarantäne-Video von ihm sei auch hier verlinkt:
"Josienne Clarke sitzt hinter Bowman, dreht während der ersten Strophe versonnen an ihrem Ring am Finger und singt dann leise beim Refrain mit. Diese Unmittelbarkeit gefällt mir natürlich, die Platte selbst ist dann noch um einiges kunstfertiger, ohne dass sie einem die Virtuosität ins Gesicht klatscht." Hört euch das an. 

 


Zum Abschluss eine kurze kunstgeschichtliche Betrachtung: Woher kommt der Typus der militanten Cheerleaderin bei Raymond Pettibon?  

Die gesammelten Inhaltsverzeichnisse des Zweitblogs finden sich, wie immer, unter dem Tag "Nebenzimmer". 







 

2 Kommentare:

  1. Ich hatte schon im Nebenzimmer die tolle Musik von Bowmann bewundert. Nun noch dich unterm Kirschbaum zu sehen begeistert mich auch, wobei mein Mann meint, es wäre mehr punkig. Aber schön dass du mitgemacht hast...

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