Everybody's fucked in their own special way

Freitag, 2. Dezember 2016

Bedeutende Dienstreisen (22)

Wenn  alles nach Plan läuft, die letzte Dienstreise in diesem Jahr. Da steht man auch noch einmal gerne um halb fünf auf. 

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Im Flugzeug die Mitteilung, dass noch eine Kontrolllampe rot sei und man das noch beheben müsse. Merkwürdiges Gefühl. Allerdings habe ich gar kein Problem damit, dass man dann noch ein bisschen länger rumsitzen muss. Brecht hat in seinem Gedicht "Radwechsel" das Problem geschildert, dass er während der Reparatur warten muss und ungeduldig ist, obwohl er weder gern dort war, wo er herkam, noch gern zu seinem Ziel will. Ich habe das Problem nicht. Mir ist es eigentlich wurscht, wo ich bin, also kann ich auch ein bisschen länger im Flugzeug sitzen bleiben. 

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Ankunft in Köln/Bonn, im Flug habe ich zufällig Bekannte mit gleichem Ziel getroffen, die ein Taxi nehmen wollen. Das ist mir irgendwie nicht abenteuerlich genug, ich warte lieber auf den Regionalexpress, der zwar eine halbe Stunde Verspätung hat, was aber gut passt, da ja auch der Flug verspätet war. Im Regionalexpress unterhält sich ein Pärchen, sie erzählt, dass eine Freundin geweint habe, weil die Freundin gedacht habe, sie hätte ihn verärgert, und das habe sie zum Lachen gebracht, weil die andere ja geweint habe. Undurchsichtig. Offensichtlich muss er zum Amt und sehen, ob eine Überweisung, die zu Bewährungsauflagen gehört, angekommen sind. 

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In Bonn Oberkassel kann ich ein bisschen am Rhein entlang gehen. Es sieht ein bisschen so aus, wie der Mauerstreifen vor 20 Jahren, als wir an die Bernauer Straße gezogen sind. Ich sehe auch etwas, was mich hoch entzückt: Große bemooste Steine. Moose und Flechten sind wirklich fantastisch, diese Strukturen und diese Farben. Bei den Entwürfen gibt es relativ viele Moos-Posts, ich fürchte nur, das wäre eine Wendung, die das Publikum hier nicht wirklich goutieren würde. 

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Rätselhafte Überbleibsel am Bahndamm. Hier gefällt mir's.

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Im Tagungshotel gefällt es mir aber nicht. Ein nobles Designhotel. Ich war hier vor Jahren mal mit einem früheren Chef, der meinte, dass Kleinbürger damit nichts anfangen können. Ich habe ihm (nicht unstolz) mitteilen müssen, dass ich Kleinbürger bin. 

Am schlimmsten sind die Toiletten. Blutrot gestrichen (ausnahmsweise gibt es hier deswegen Toilettenfotos). Ich kann mir nicht vorstellen, dass das beim Defäkieren ein gutes Feng Shui gibt. Mich quält die Frage, an was mich dieses Rot erinnert, bis mir einfällt, dass das so ähnlich ist, wie bei der zweiten Big Star-LP. (Wunderbare Platte übrigens, so als ob die Beatles aus Tennessee gekommen wären und 1970 vergessen hätten, sich aufzulösen.) In der Spex war die Farbe auf dem Cover mal als "tomatenpornorot" beschrieben, was für mich einige Fragen aufwirft: Was ist denn ein Tomatenporno? Aber grundsätzlich passt das. Falls Bands die tomatenpornorote Toilette für ein Cover verwenden wollen (Mischung aus Big Star "Radio City" und dem Original-Cover der "Beggar`s Banquet" von den Stones), nur zu. 

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Auf der Toilette eine weitere neue Beobachtung. Ein Herr im grauen Anzug steht beim Strullen und hat seine Krawatte nach hinten über den Rücken geworfen. Das kenne ich eigentlich nur vom Suppeessen, wenn man die Krawatte nicht vollkleckern will. Ob er so einen guten Strahl hat oder ein paar steile Figuren pinkeln will? Da die kleinliche Konvention nicht zulässt, dass man sich hinstellt und Leuten beim Pinkeln zusieht, werde ich es nie erfahren. 

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Überhaupt eine Fachtagung zu einem Gebiet, mit dem ich mich vor einem Jahrzehnt ernsthaft befasst habe. Inzwischen bin ich eher Gast. Haufenweise junge Leute in grauen Anzügen, mit richtigen Frisuren und ernsthaften Brillen. Kompetent, eifrig, voller Adrenalin. Die etwas älteren sind schon nicht mehr so schick, verknitterter, aber oft von erstaunlicher Autorität. Ich bin ganz froh, dass ich aus dem Spiel inzwischen draußen bin.  

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Ich rede mit ein paar Leuten, mit denen ich reden wollte, aber es sind gar nicht mehr so viele, die ich kenne.  Ich lerne Dinge über Wurstlücken und über die Digitalisierung. Jemand der's wissen muss, teilt uns mit, dass wir uns alle mit Blockchain beschäftigen müssen. Na dann. 

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Wieder zurück. Tegel leuchtet. Als ich beim Gesundbrunnen aus der S-Bahn aussteige, dreht sich der Mann, der vor mir ausgestiegen ist, um und sagt "Arschloch". Ich habe keine Ahnung, warum. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, müsste er mich eigentlich länger kennen. 

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Jetzt langt's wieder bis Mitte Januar. 

15 Kommentare:

  1. "Mir ist es eigentlich wurscht, wo ich bin,..."

    Mein Satz des Tages
    + schade,
    jetzt, bis Mitte Januar 2017 auf exzellent unterhaltsame Cappuccino-Frühstückslektüre warten darf ;)

    ...SIE, mit Moosen und Flechten liebäugelnder, der aus dem Spiel inzwischen draußen ist ! *hehe...zwinkerzwinker*

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  2. Um das Krawattenrätsel mal aufzugreifen: Der gute Mann will doch sicherlich einfach nur sehen, wo er hinzielt. Krawatte versperrt doch bestimmt die Sicht? Kenne mich als Frau da nicht so aus, aber müsste ich mir vorstellen, ich wäre einen Mann beim Pinkeln, dann wäre das mein Beweggrund, die Krawatte nach hinten zu schlagen. So gesehen ist das Krawatten-Abschneide-Ritual beim Fasching nur eine Aktion um vollgepinkteltes Tomatenpornorot zu verhindern.

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    1. Ich will da jetzt nicht ins Detail gehen, schließlich lesen hier eventuell auch Kinder mit, aber abhängig von der Größe der... äh... Krawatte... könnte vielleicht doch der eine oder andere nix sehen, weil da was bedeckt wird????

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    2. Das nächste Mal, wenn ich den Typen sehe, frage ich ihn und mach ein Foto.

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  3. Wunderbar diese Dienstreisen für mich als Leserin! Ich würde sie auch als gedrucktes Buch kaufen, sie sind Zeitzeugnis. Diese Bandbreite seltsamer Verhaltensweisen der beobachteten Menschen, mitgehörte, seltsame Gespräche, Beobachtungen der städtebaulichen Bemühungen...
    Und immer wieder etwas zum Schmunzeln!

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    1. (Vielleicht stimmt das ja alles gar nicht....)

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    2. Und wenn schon. Der schiere Aufwand, all diese skurrilen Details, merkwürdigen Begebenheiten, daraus gefolgerten Folgerungen und vermuteten Vermutungen sowie all die bemoosten Steine zu finden, anzuhäufen und in für den gezeigten Effekt geeigneter Weise geschmackvoll zu präsentieren, wäre im Zweifel noch sehr viel lauter zu bejubeln und lobpreisen, wenn gar keine realen (was immer das auch bedeuten mag) Vorkommnisse den geschilderten Dingen adjungiert wären, schon wegen der gedanklichen Verknotungen.

      Chapeau, Herr Ackerbau!

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    3. Danke, das freut mich. Die Dienstreisen-Geschichten sind allerdings tatsächlich der Teil des Blogs, der am ehesten dokumentarisch ist, da wird nur manchmal etwas gestrafft. Die Posts bestehen ja vor allem aus Auslassungen. Ich würde ja gerne auf diese Art ein Arbeitstagebuch führen, aber da müsste ich dann fast alles weglassen.

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  4. Ich werde noch ein paar Fotos rauskramen, die einen noch mehr zweifeln lassen...

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