Everybody's fucked in their own special way

Montag, 27. Januar 2020

Sonntag

Am Nachmittag wieder in den Park, zu den Nebelkrähen. Ich bin wieder etwas zu spät dran, ab ca. 15 Uhr sitzen die Burschis halt gerne auf den Bäumen und interessieren sich nicht mehr so recht für die Gaben. Ich stelle mich an die Panke, werfe ein paar Erdnüsse, die Krähen sehen mich vom Baum aus an, ich sehe sie an, sie sehen zurück. Das geht eine Zeitlang so, ohne dass große Bewegung entsteht, irgendwann kommen aber die Enten, ein Erpel watschelt sogar zur Erdnuss hin, nimmt sie kurz in den Schnabel und lässt sie wieder fallen, für Enten sind Erdnüsse keine akzeptablen Essensgaben. Eine Mutter mit Kind kommt dazu, die freuen sich an den Enten, die irgendwie gerade agitiert schnatternd in meine Richtung watscheln, die Krähen beobachten das ganze aus den Bäumen, eine enorme Spannung baut sich auf, als ein doofer Hund vorbeirennt und die ganzen armen Enten wieder in die Panke scheucht. Als die Enten weg sind, kommt eine Krähe angesegelt und nimmt sich die Erdnuss, verschwindet dann allerdings schnell wieder. 

Ich gehe zur anderen Wiese, die Krähen haben mich weiter im Blick. Wenn ich eine Erdnuss werfe, kommen einzelen Krähen elegant angesegelt, nehmen sie aber erst mit, wenn ich ihnen den Rücken zudrehe. Kompliziert. Frau Ackerbau und ich trinken dann lieber einen Kaffee. Dort sind gleich Spatzen auf den umliegenden Tischen. Für die schäle ich die Nüsse, sie warten dann auch nicht lange. Jeder Spatz, der Erdnüsse ist, knabbert zumindest bei uns keine Knospen an (absolut gültiger Gedanke, wenn man davon absieht, dass im Moment bei uns ja auch nichts knospt). Schließlich läuft noch eine Maus unter unserem Tisch herum, keine Brandmaus, sondern eine ganz normale. Soll keiner sagen, bei uns wäre nichts los. Ich gehe aber mal davon aus, dass das Mäuschen auch ohne Erdnüsse an dem Café im Bürgerpark genug zu essen findet. 

Am Abend davor hatte ich wieder die Guggenmos'schen Haiku gelesen, eines gefiel mir besonders:

Still stand ich im Wald
war zu Haus, war nur da, ich:
Baum unter Bäumen


Im Park lässt sich das natürlich nicht so gut nachempfinden, weil die Parkbäume doch sehr einzelgängerisch sind. Baum unter Bäumen zu sein, wäre ja aber nicht schlecht, es sei denn, man sieht so aus, wie der Dings auf dem Bild vom gestrigen Post.  


Auf dem Weg nach Hause dann wie immer bei Johannes R. Becher vorbei, der als Statue im Park steht. Mein Verhältnis zu Becher war schon immer sehr ambivalent, weil ich lange Zeit von ihm nur "Auferstanden aus Ruinen" und die "Stalinhymne" kannte; zwei Gedichte, die ich dann doch höchst unterschiedlich einschätze. Im Rahmen meiner Invalidenstraße-Recherchen stieß ich darauf, dass in seinem Tagebuch 1950 eine Information zu dem Rätsel der ULAP-Skelette zu finden sei. Da das online nicht vollständig vorhanden war, habe ich schnellentschlossen mir das Ding antiquarisch bestellt. Lustigerweise bekam ich das Exemplar, das früher einmal in der Bibliothek der Volksbühne war, inklusive alter Einmerkzettel. Die Zettel waren aus Rollenheften geschnitten, einer wohl aus Armin Stolpers "Aufzeichnungen eines Toten" (das habe ich mir aus dem Fragment zurechtgegoogelt), zwei andere ergeben den Satz "Nicht genug, dass Millo tötet: tötend befleckt er ein gelebtes Leben, befleckt ein Grab, befleckt ein Menschengedenken". Dieses Zitat erweist sich als ungooglebar, keine Ahnung, aus welchem Stück das stammt und wer dieser Millo ist. Wenn man die Internetsuche "Millo Theaterstück" probiert, kommt man bei Willy Millowitsch an, der wahrscheinlich weniger an der Volksbühne gegeben wurde. Andererseits finde ich es ja immer nett, wenn es noch Dinge gibt, die man auch mit der Macht des Internetwissens nicht sofort enträtseln kann. Mein ambivalentes Verhältnis zu Becher hat sich noch verstärkt, das Tagebuch 1950 (Auf andere Art so große Hoffnung) umfasst fast 700 Seiten und ist tatsächlich ein Konglomerat unterschiedlichster Dinge. Leider auch wieder Geschichten von Väterchen Stalin, ein Großteil Literateneitelkeit, Alltagsbegebenheiten, manchmal überraschend dumme Beobachtungen, aber auch immer wieder kluge Passagen, die ich höchst interessant finde, so dass ich mir das Ding dann doch nach und nach durchlesen werde. Irgendwie liest es sich wie ein ausführliches Ego-Blog, mit sehr interessanten Reflektionen zum Tagebuchschreiben. 


Becher im Bürgerpark wird eher böse mitgespielt; die Vögel kacken ihm auf den Kopf und die Stadtjugend malt ihm mit Edding einen Penis in den Schritt (nicht ohne daneben noch einen Pfeil anzubringen und "Schwanz" dazuzuschreiben, falls jemand die Schmiererei nicht gleich erkennen sollte).  Die Nachwelt meint es halt nicht mit allen gut, andererseits hat ja Becher auch das Glück, dass man sich allgemein eher an die angenehmeren seiner Werke erinnert und nicht an seine Danksagung an Stalin. 

Ich beschließe, dass es wohl alles in allem besser ist, erst gar kein Denkmal zu bekommen. Insoweit bin ich ja auf gutem Wege. 

9 Kommentare:

  1. Tag des Schokoladenkuchens 2020
    27. Januar 2020 in der Welt

    Krähe landet

    Die Krähe landet
    auf dem Wipfel der Birke -
    obwohl der Schnee stürmt.

    HAIKU
    Ich nehme den heutigen SCHOKIkuchen, Erdnüsse kann ich so schlecht mitohne Zähne essen ... (ړײ) *krääächz*

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  2. Schöner Bericht vom Sonntagsbummel- auch wenn die Krähen sich etwas wie bockige Kinder verhielten, Danke. Ganz schön tierisch ist es dort, die Natur. Das Haiku(den?) gefiel mir, einswerden mit der Umgebung läßt uns manchmal neues entdecken, dabei fallen wir nicht auf.

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    1. Der oder das Haiku, musste ich nachschlagen.
      Die Krähen haben schon recht mit ihrem Misstrauen.

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  3. Die Krähen sind gg 15 Uhr gedanklich meist schon am Einnicken. Meine wpllen dann auch nichts mehr und ich muss sie regelrecht bitten, mir eine Nuss abzunehmen.

    Ich mag Ihre Tagesberichte sehr gerne. Und wer Milo ist, versuche ich jetzt auch heraus zu finden.

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    1. Das beruhigt mich jetzt. Mein normaler Tagesablauf ist gerade nicht fütterfreundlich...

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  4. Millo. Könnte aus E-T-A. Hoffmanns "Die Serapionsbrüder" stammen.
    Sagt meine Freundin, die Theaterkritikerin.
    Schöne Grüße aus Kreuzberg!

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    1. Vielen Dank! Vielleicht sollte ich mir jetzt einen antiquarischen Hoffmann besorgen und schauen, wohin mich das nächste Lesezeichen führt.

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  5. Ja, machen Sie das, unbedingt! Und wenn es wieder was rauszufinden gibt, mache ich sehr gerne mit.

    Ich tippe, das Rabenvogelthema wird sich noch eine Weile durch Ihr Leben ziehen.

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