Everybody's fucked in their own special way

Dienstag, 8. Oktober 2019

Brüche

Wir gehen am Abend die 2 km Richtung Bahnhof, wo ein früherer Bekannter inzwischen eine Kneipe hat. Wir kommen rein, er sieht eigentlich noch aus wie vor 35 Jahren. Er stutzt kurz: " Jetzt habe ich gedacht, neue Gäste, kann ich freundlich begrüßen, aber das bist ja du." Wir trinken Oktoberfestbier und hören die Neuigkeiten an. Wenn man sich nur alle paar Jahre sieht, gibt es ja viel zu erzählen, eigentlich aber auch nicht, alle Kinder sind schon längst geboren und machen halt jetzt irgendetwas, was bleibt, sind die Toten.

Am Tresen sitzt jemand, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es W. ist. Wir haben früher ein paar Sachen zusammen organisiert, dann kam ein Streit, seit dreißig Jahren haben wir kein Wort mehr geredet. Meine sozialen Fähigkeiten waren damals nur sporadisch vorhanden. Die letzten Jahre hatte ich immer wieder mal darüber nachgedacht, nichts, was akut Sorgen machte, aber halt einer der vielen unnötigen Brüche, die man erlebt oder verursacht. Allerdings ist es auch nicht Sitte in unserem Stamm, nach Jahrzehnten unvermittelt vor der Tür zu stehen oder Postkarten aus Berlin zu schreiben.

W. stand dann bei uns am Tisch, wir versicherten uns gegenseitig, dass wir's wirklich seien. Offenbar ging es ihm ähnlich. Er erzählt von den letzten dreißig Jahren. Er hatte immer schon bewundernswerte Energie und Sturheit, daran hat sich wenig geändert. Ich erwähne, dass unsere letzte Begegnung ja unerfreulich war, aber wir sind uns einig, jeder hat seine Fehler gemacht. Wie immer genügt es allen zu hören, dass ich in Berlin sei. Weitere Erklärungen sind nicht vonnöten. Wie alle anderen ist er auch regelmäßig in Berlin, die Kinder haben da mal studiert, und der Typ vom Jugendzentrum, den alle nur als Mad kannten, ist nun Historiker in Berlin, den besucht er immer wieder mal.

Zu Zeiten, in denen ich immer mehr aktuelle Zerwürfnisse erlebe, freue ich mich, dass dieser alte Bruch gekittet ist. Aber W. und ich wissen: Wir werden weniger, so langsam kommt es auf jeden an.


8 Kommentare:

  1. Dieser Bericht spricht mich sehr an, war es ein Klassentreffen? Ähnliche Gefühle hatte ich im April beim Klasssentreffen. Und das Wissen,dass wir weniger werden, macht es einfacher mal auf eine Versöhnung zuzugehen. Oder werden wir altersweise? Danke für das Teilen der Gedanken!

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    1. Kein Klassentreffen, Zufall. Von Altersweisheit bin ich noch weit entfernt.

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  2. Stell-dich-deinen-Ängsten-Tag 2019
    8. Oktober 2019 in der Welt

    Der ALTTAGSwahnsinn muss/darf/kann gelebt werden ... mit oder ohne... Augen auf und durch !!!

    Es gibt aber auch solche Brüche, die sollte man/Frau nicht kitten... ist GUT so (ړײ)

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    1. Herr Ackerbau... obiger Text kommt mir bekannt vor, hatteste den nicht schon mal gepostet ?!?

      *grübelndALTERSWEISEundoderSENILzwinkerndwinkewunkt*

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    2. Ich schreibe hier seit Jahren immer das Gleiche.
      Du hast vielleicht diesen Text in Erinnerung

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  3. Genau das! Und was sind schon dreißig Jahre, man muss nichts überstürzen.

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