Everybody's fucked in their own special way

Sonntag, 10. Februar 2019

Psychogeographie

Manchmal stößt man auf Begriffe und stellt mit Überraschung fest, dass sie etwas beschreiben, was man kennt, für das man aber selbst noch kein Wort hatte. So ging es mir letzthin mit dem Begriff Psychogeographie, das irgendwo auf Twitter auftauchte. Die deutsche Wikipedia ist nicht sonderlich hilfreich mit der Einführung: Die Psychogeographie untersucht, welchen Einfluss die architektonische oder geographische Umgebung auf die Wahrnehmung, das psychische Erleben und das Verhalten hat. Spannender wird schon die weitere Aussage: Charakteristisch war auch eine Aufforderung der Situationisten, sich absichtlich in fremden Städten zu verlaufen, um sich neuen Entdeckungen, Erfahrungen und Zusammentreffen auszusetzen, oder dort Stadtpläne anderer Städte zur (Des-)Orientierung zu nutzen. Die englische Wikipedia ist (für mich) hilfreicher, dort wird (grob übersetzt) als Erläuterung angeführt: Psychogeographie ist eine Erkundung städtischer Umgebungen, die Verspieltheit und das sich Treiben lassen betont... praktisch alles, was Fußgänger von ihren vertrauten Pfaden abbringt und sie zu einem neuen Bewusstsein der Stadt-Landschaft führt. 


Man kann dazu noch einiges mehr zu der situationistischen Internationale etc. lesen, das alles übersteigt meinen Horizont bei weitem. Was ich interessant finde, ist, dass dieses Blog einige psychogeographischen Züge hat, ohne dass mir das bewusst gewesen wäre. Nun weiß ich zumindest, welches Genre ich bin. 

***

In einer etwas weiteren Auffassung gibt es in England einen Ansatz, der dieses Konzept über die Stadt in die Landschaft hinausträgt und mit mythischen Elementen mischt. Das ist Hookland, eine imaginäre Landschaft, von der ihr Schöpfer David Southwell sagt: Auf gewisse Weise ist Hookland ein Echo einer Zeit, in der sich die universellen Themen und Archetypen der mythischen Kultur sehr spezifisch in der Landschaft um einen herum wiederfanden. (Eine ganz gute Einführung gibt dieses Interview.) Gelegentlich habe ich mich von diesem Ansatz inspirieren lassen.

Um Hookland herum ist eine sehr interessante Community von Künstlern entstanden. Dazu bei Gelegenheit mehr.

11 Kommentare:

  1. Die Hacienda wirst Du nicht sehen — es gibt sie nicht.
    Die Hacienda muß gebaut werden.

    — Gilles Ivain

    *tja*

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  2. Dann gehöre ich wohl auch zu den Situationisten. Ich bin früher immer gerne quer durch Berlin gegangen, ohne Ziel, immer der Nase nach. Stundenlang. Ich konnte mich gar nicht sattsehen an den vielen neuen Eindrücken. Inzwischen bin ich bequemer geworden. Ich fahre zum Bahnhof Zoo und nehme dort den ersten Bus, der kommt. Dann gondele ich einfach durch die Stadt und sehe, wo ich rauskomme.

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    1. Spannend, gell? Da ist man Situationist und wusste gar nix davon...

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    2. Ich machte es manchmal wie Matthias, einfach den nächsten Bus besteigen. Aber ich bin bestimmt viele Kilometer gegangen, weil ich falsche Ausgänge bei der U-Bahn nutze.
      Darin bin ich perfekt.
      Wieder ein neues Wort gelernt, prima.

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    3. Ja, in die falsche Richtung gehen, das kann ich auch gut.

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  3. Das ist sehr interessant, was du da schreibst, da werde ich mal nachlesen. LG Gitta

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    1. Ich fand das auch spannend, vor allem, weil ich davon nie zuvor gehört hatte.

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  4. Ha, sehr schön, das mache ich auch gerne! Egal, ob in der Stadt oder in der freien Natur: einfach mal loslaufen, um zu sehen, wie es dort aussieht. Ohne Stadtplan und ohne Wanderkarte. Und oft auch ohne Uhr und internettaugliches Handy! Das hat zwar schon dazu geführt, dass ich am Abend (20 km Luftlinie von der FeWo entfernt)an einem kleinen Bahnhof gestrandet bin, wo der für Stunden letzte Zug gerade abgefahren war. Aber, das war noch ein Bahnhof, bei dem ein Bahnhofsbeamter einsam Dienst schob. Er kam dann zu mir raus, und wir haben uns über Züge, Fahrpläne, die DB, eingleisige Streckenführungen und wie man sich am Fahrscheinautomat Abfahrtspläne ausdrucken kann unterhalten. Das war richtig lustig. Dann kam irgendwann der nächste Zug... Spannend!

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    1. Irgendwie wundert es mich ja nicht, dass viele der Leserinnen hier das Konzept gut nachvollziehen können... Der Weg ist das Ziel.

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  5. Schon als Schülerin, als ich im Besitz meiner ersten Monatskarte war, fuhr ich manchmal den ganzen Tag mit der Straßenbahn durch die Stadt, stieg irgendwo aus und ließ mich treiben. Auch in Berlin spaziere ich zwischen März und November jeden Tag stundenlang durch die Straßen und schaue mir alles ganz genau an. Ich liebe das und jetzt gibt es endlich ein Wort dafür!

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