Vorne, am Giebel sitzt die Amsel, auf irgendeinem Gebäude der Charité. Sie singt , wenn ich aus dem Büro gehe, der Kollege mitkommt, der noch eine rauchen und ein bisschen meckern will. Das Lied der Amsel ist klar, laut und wunderschön melodisch. Anders als in Pankow kommen nicht alle fünf Minuten Flugzeuge und zerschneiden den Gesang. Es ist eigentlich viel zu ruhig für die Innenstadt, aber die Amsel füllt die Stille. Erst hundert Meter weiter, an der Pizzeria vorbei, höre ich etwas anderes: den Heavy-Soundtrack, der dort immer läuft. Wenn der tätowierte Wirt vor seinem Lokal schweigend raucht, nicken wir uns zu.
Schon vor zwei Wochen haben die Krokusse im Bürgerpark geblüht und die Luft war so weich und sanft wie sie zu Frühlingsbeginn ist, aber es war doch erst Anfang Februar. Ich saß schon auf der Terrasse und hörte eine andere Amsel, beim Nachbarn auf dem Baum. Das Lied noch etwas stockend, ohne irgendwelche Schlenker, die ich wieder erkennen würde. Meine 17.30 Uhr-Amsel ist schon lange nicht mehr da, mal sehen, ob das der Nachfolger wird.
Das Wetter beginnt unsere normalen Vorstellungen der Jahreszeiten aufzulösen. Wahrscheinlich kommen die nächsten Jahre auch wieder strengere Winter, der letzte ist ja noch nicht so lange her, aber wir verabschieden uns langsam von den Gewissheiten, den Abfolgen und den Bauernregeln. Wir haben den Rahmen zerbrochen und müssen nun jeden Tag neu abwarten, wie es weiter gehen wird. Die Luft ist weich und ich spüre ein leichtes Grauen. Wahrscheinlich werden wir bald besser verstehen, für was die Fröste, die Regenfälle gut und wichtig waren.
Die Amsel singt weiter, unbeirrt und klar.
Danke für dieses poetische Morgenlied - von dir.
AntwortenLöschenZwitschere dein Lied, Amsel, und vertreibe Kummer und Sorgen.
AntwortenLöschenIn deiner Stimme gibt es eine Stimme, die an das Ohr meines Ohres dringt.
Khalil Gibran
die reinste poesie! das lied an die amsel!
AntwortenLöschenSehr gut ! LG Gitta
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